Momentaufnahmen im Laufe eines Jahres, gefilmt aus einem Eckhaus an einer Straßenkreuzung von St. Petersburg: Passanten kommen und gehen, verweilen, orientieren sich, Putzkolonnen reinigen den Gehsteig und die Fassaden der Häuser, zu allen Jahreszeiten und immer wieder wird der Straßenbelag aufgerissen und erneuert, der durch geplatzte Wasserleitungen zerstört worden ist. – Der russische Filmemacher Wiktor Kossakowski fühlte sich von E.T.A. Hoffmanns Novelle "Meines Vetters Eckfenster" aus dem Jahr 1822 inspiriert, mit seiner digitalen Videokamera die Ereignisse auf der Straße vor seinem Wohnungsfenster zu dokumentieren, zu allen Tag- und Nachtzeiten, mit Originalgeräuschen, jedoch ohne Kommentar. Sein ungewöhnliches filmisches Experiment ist weit mehr als ein Dokument. Das Auge der Kamera erfasst die Strukturen und Lichtreflexe der regennassen Straße genauso wie den vergeblichen Kampf der Arbeiter gegen die Tücken des Straßenbelags. Das eine ist reine Poesie, das andere lässt sich als Groteske interpretieren, in der zeitlichen Verdichtung gar als tragikomischer Schildbürgerstreich, wenn der nächste Bagger anrückt, kaum haben die Arbeiter die Straßendecke notdürftig geflickt. Wieder Anderes wirkt dokumentarisch oder auch surreal. Ein Panoptikum voller Absurditäten, über eine Gesellschaft, die von früherem Glanz zehrt und von der Hand in den Mund zu leben scheint.
Autor/in: Holger Twele, 01.02.2004