Seit dem Ende der Sowjetunion und ihres Raumfahrtprogramms sucht die russische Weltraumbehörde nach neuen Einnahmequellen. Als einträgliches Zusatzgeschäft hat sich der Weltraumtourismus erwiesen. Der Dokumentarfilmer Christian Frei begleitet die vermögende US-Amerikanerin Anousheh Ansari bei den Vorbereitungen auf ihren Flug ins All und zeigt Bilder ihres Aufenthalts in der Internationalen Raumstation ISS. Mit dem Fotografen Jonas Bendiksen erkundet Frei das Leben um den russischen Weltraumbahnhof Baikonur. In einer weiteren Nebenhandlung beobachtet er, wie ein rumänischer Raketenkonstrukteur den Flug ins Weltall für Jedermann erschwinglich machen will.
Frei spürt der Faszination nach, die mit dem Reisen durchs Weltall bis heute verbunden ist, und zeigt zugleich die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Raumfahrt. In einer langen
Parallelmontage sieht man, wie die begeisterte Ansari den Alltag und die Schwerelosigkeit auf der ISS erlebt, während zeitgleich auf der Erde kasachische Schrotthändler die zur Erde gestürzten Triebwerke ausfindig machen und ausschlachten. Im Stil des Direct Cinema lässt Frei die Bilder
unkommentiert, verteilt aber genau definierte "Rollen" unter den Mitwirkenden: Bendiksen führt in Vergangenheit und Gegenwart der russischen Raumfahrt ein, Anousheh verkörpert den menschlichen Traum, die Grenzen der Schwerkraft hinter sich zu lassen, und der rumänische Ingenieur Dumitru Popescu steht für den – stets vom Scheitern bedrohten – menschlichen Pionier- und Erfindungsgeist.
Freis Film eignet sich hervorragend, um die Logik des Raumfahrtprogramms während des Kalten Kriegs nachzuvollziehen. Es ist eine Geschichtsstunde mit beeindruckenden Bildern, die sich gut mit Klassikern des Science Fiction-Films ergänzen lassen. In Georges Méliès‘ Stummfilm
Die Reise zum Mond (Le voyage dans la lune, Frankreich 1902) oder in Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltall (2001: A Space Odyssey, Großbritannien, USA 1968) zeigt sich exemplarisch die kulturelle Überformung des Raumflugs. Gleichzeitig liegt es nahe, über Sinn und Unsinn der milliardenschweren Investitionen in die Raumfahrt zu debattieren. Sind die horrenden Ausgaben und die Umweltschäden, die beispielsweise in der kasachischen Steppe durch abgetrennte Triebwerke entstehen, gerechtfertigt? Dabei könnte man ins Detail gehen und prüfen, wie sich die kulturelle und die wissenschaftliche Bedeutung des ersten Mondflugs zueinander verhalten.
Autor/in: Michael Kohler, 26.07.2010
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