Der 15-jährige Liam hat bisher nur die Schattenseiten des Lebens kennen gelernt: aufgewachsen in heruntergekommenen Sozialwohnungen, ohne richtigen Vater, mit drogensüchtiger Mutter und einem Dealer als Stiefvater, dem Liam die Schuld dafür gibt, dass die Mutter im Gefängnis sitzt. Liams ältere Schwester hat den Kontakt zu ihr längst abgebrochen, doch der Junge träumt immer noch von einer glücklich vereinten Familie. Wenn die Mutter entlassen wird, möchte er mit ihr und der Schwester in einem Wohnwagen hoch über der Küste wohnen. Zur Finanzierung seines Traums verkauft Liam mit seinem einzigen Freund Drogen, die er dem Stiefvater vorher geklaut hat. Dadurch kommt er aber einem Großdealer in die Quere und muss zur Regelung dieser Angelegenheit seinen Freund verraten, der sich später böse an ihm rächt. Die größte Enttäuschung steht ihm aber bevor, als seine Mutter entlassen wird. – Keine überflüssige Szene, kein falscher Tonschlag oder oberflächliches Pathos trüben dieses schnörkellose, bittere Sozialdrama von Ken Loach, in dem er viele Motive seiner früheren Filme von Kes bis zu My Name is Joe wieder aufgreift: ein zerstörtes Elternhaus, hohe Arbeitslosigkeit, Drogensucht und Drogenhandel, Mängel im sozialen Netz und immer wieder Illusionen und die unerschütterliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft, einer rundum deprimierenden Realität zum Trotz. Martin Compstone in der Rolle des kämpferischen Traumtänzers Liam ist beeindruckend und spielt so authentisch, dass man sich fast in einen Dokumentarfilm über jugendliche Straftäter versetzt fühlt. Loach nimmt uneingeschränkt Partei für seinen Antihelden, dem nichts geschenkt wurde, der vom Opfer zum Täter wird, der seiner verlorenen Kindheit und der nicht lebbaren Jugend unablässig hinterher jagt, als würde es sich um das einfach einzulösende Versprechen einer "süßen" Jugend handeln. Ob dieser konsequente Inszenierungsstil eher abschreckend, anklagend oder gar hoffnungsvoll wirkt und zum Widerstand gegen herrschende Verhältnisse aufruft, muss das Publikum allerdings selbst entscheiden.
Autor/in: Holger Twele, 01.06.2003