Als die koptische Familie des Autors und Regisseurs Namir Abdel Messeeh an Weihnachten in Paris ein Video mit einer angeblichen Erscheinung der Mutter Jesu Christi in ihrer ägyptischen Heimat anschaut, vermag er nur vage Schemen zu erkennen und begegnet diesem "Wunder" als Atheist eher skeptisch. Dagegen will seine Mutter Siham die Jungfrau Maria gesehen haben. Um das Phänomen für einen Film zu erforschen, reist Namir gegen den Willen der Eltern, die das Filmprojekt für zu absonderlich halten, nach Kairo. Augenzeugen der Marien-Erscheinung im Jahr 1968 in Zeitoun stöbert er auf, aber die wirkliche Beweisfindung, scheitert ebenso, wie die Kontaktaufnahme zu koptischen Kirchenführern. Als dann auch noch sein Produzent abspringt, weil Namir mit der Fahrt in das Heimatorf seiner Mutter die Drehzeit erheblich verlängert, ist das Projekt vom Scheitern bedroht. Doch dann beschließt er mit Hilfe der Verwandten und der eigens angereisten Mutter, selbst eine Marienerscheinung zu inszenieren und vollendet damit den Film.
Auf humorvolle Weise absolviert der Regisseur eine selbstironische Gratwanderung zwischen Dokumentation und Fiktion, wobei die Grenzen häufig verwischen. Dominiert zunächst der dokumentarische Ansatz, was sich im häufigen Einsatz des Off-Kommentars des Ich-Erzählers manifestiert, driftet Messeeh im weiteren Filmverlauf zunehmend ins Fiktionale. Je stärker die Frustration angesichts der vielen Widerstände und je größer die Gefahr des Scheiterns des Filmprojekts, um so mehr ist der Regisseur bereit, die Realität zu manipulieren und aussagekräftige Begegnungen nachzuinszenieren. Folgerichtig mündet die Flucht auf’s Land in eine skurrile Inszenierung einer wundersamen Marien-Erscheinung mit einer jungen Dorfschönheit. Die tatkräftige Mitwirkung seiner anfangs filmfeindlichen Mutter verleiht der kunstvollen Film-im-Film-Komposition eine amüsant ironische Note.
Dass die Familie Messeeh 1973 aus Ägypten nach Frankreich ausgewandert ist, liefert viele Ansatzpunkte, im Religionsunterricht die Traditionen dieser christlichen Minderheit zu erkunden, aber auch die Konflikte, die sie mit der sunnitischen Muslim-Mehrheit hat. Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Warum verehren Christen wie Muslime die Jungfrau Maria? Und wieso weiß man angeblich nicht, wie viele Kopten in Ägypten leben? Im Film heißt es, die Regierung gebe ihren Anteil mit sechs Prozent der Bevölkerung an, die Kopten mit 20 Prozent. Angesichts der aktuellen interreligiösen Spannungen in dem arabischen Land ist der Mut des Autors zu Humor und Selbstironie hervorzuheben: Beispielsweise überredet er den koptischen Pfarrer, ein Marien-Casting durchzuführen. Das Familienporträt enthält zudem vielerlei Gelegenheiten für filmsprachliche Analysen. Der Regisseur dokumentiert den filmischen Entstehungsprozess und zeigt beiläufig Grundelemente der Illusionserzeugung, etwa wenn er seinen Verwandten am Laptop zeigt, wie man via Greenscreen eine gefilmte Person in eine andere Umgebung "zaubert".
Autor/in: Reinhard Kleber, 11.06.2013
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