Rund 42 Hektar umfasst der jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee, der 1880 angelegt wurde. Das verwunschen wirkende Areal ist heute mit rund 115.000 Grabstellen die größte jüdische Nekropole Europas, auf der noch bestattet wird. Der Ort der Erinnerung und Geschichte ist zudem ein höchst lebendiger: Neben den hier arbeitenden Gärtnern/innen, Totengräbern/innen, Sicherheitskräften und Verwaltern/innen zieht es Touristen/innen aus aller Welt nach Weißensee.
Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart spannt sich der Bogen der stimmigen Dokumentation. Im
Zeitraffer hält Britta Wauer die wechselnden Jahreszeiten fest und kontrastiert das fast unmerkliche Verstreichen von Zeit mit Fotos und Filmmaterial der letzten Jahrzehnte. Kameraeinstellungen nutzen die Perspektiven der Friedhofsarchitektur, mal zeigen sie in
Totalen die Anordnung der Gräber oder in der
Nahaufnahme Ausschnitte der Mausoleen. Die Bilder vermitteln nicht nur die einzigartige Atmosphäre dieser unter hohen Bäumen zerfallenden Totenstadt, sondern auch die Besonderheiten jüdischen Lebens. Interviews mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde und Besuchern/innen öffnen Fenster zur Vergangenheit. Den Holocaust thematisiert der Film nur am Rande – aber es wird deutlich, welche kulturellen und gesellschaftlichen Verluste er Deutschland brachte.
Im Himmel, unter der Erde beobachtet auch den Besuch einer Berliner Schulklasse auf dem Friedhof: Schüler/innen kopieren Ornamente und Inschriften, um sich damit im Kunstunterricht kreativ mit dem Judentum auseinander zu setzen – eine Inspirationshilfe, Geschichte auch als künstlerisches Rohmaterial zu begreifen. Doch der Film ermuntert zu weiteren spannenden Reflexionen: Im Religions- und Ethikunterricht können jüdische Trauerarbeit und -rituale untersucht und mit christlichen oder muslimischen Bräuchen verglichen werden. Ferner bietet der Film spannende Anknüpfungspunkte zur Geschichte des Judentums im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, unter der NS-Herrschaft, in der DDR und heute.
Autor/in: Cristina Moles Kaupp, 01.04.2011
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