Bei der Suche nach ihrem Hund findet die rothaarige Zirkusartistin Patrizia ein zweijähriges Mädchen, das von seiner Mutter ausgesetzt wurde. Sie nimmt die Kleine, "la pivellina", mit in die Wohnwagensiedlung am Rande Roms. Dort überwintert Patrizia gemeinsam mit ihrem Mann Walter und dem Nachbarsjungen Tairo. Ständig diskutieren sie, ob sie das Mädchen der Polizei melden oder doch auf die Mutter warten sollen. Dabei wächst die Kleine den Dreien ans Herz. Sie findet in diesem Zuhause am Rande der Gesellschaft Geborgenheit. Doch dann meldet sich die Mutter und die Schausteller/innen verbringen ihre scheinbar letzten Tage mit dem Mädchen.
Nach gemeinsamen Dokumentarfilmen bleiben die Filmschaffenden Tizza Covi und Rainer Frimmel auch bei ihrem ersten Spielfilm
La Pivellina der dokumentarischen Erzählweise treu: Patrizia, Walter und Tairo sind auch im tatsächlichen Leben Zirkusleute. Bei ihrer schauspielerischen Arbeit mussten sie sich lediglich an Vorgaben eines Treatments, nicht aber an ausgeschriebene Dialoge halten und konnten so authentisch agieren und improvisieren. An Originalschauplätzen gedreht filmten Regisseur und Regisseurin zudem ausschließlich mit vorhandenem Licht, außerdem fing der Ton die Geräusche des Ortes unverfälscht ein. Die Realitätsnähe wird zusätzlich durch den Verzicht auf
Filmmusik erhöht. Auch die
Handkamera stellt eine große Nähe zu den Figuren her. In oft minutenlangen Einstellungen folgt sie den Protagonisten/innen durch die Wagenburg und beobachtet sie in ihrem Alltag.
Der gelungene Grenzgang zwischen fiktionaler Geschichte und authentischem Setting kann Ausgangspunkt sein, um im Unterricht über dokumentarische und fiktionale Erzählästhetiken im Film zu sprechen. Was bewirkt ein derartiger Verzicht auf ein Kino der Effekte, der auch bei Filmen des Manifests
Dogma 95 oder der Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (
L’enfant, Belgien, Frankreich 2005) zu beobachten ist? Dabei kann eine Aussage von Tizza Covis – "das, was einem die Wirklichkeit schenkt, kann man nicht nachstellen" – am Anfang der Diskussion stehen. Zudem bietet
La Pivellina vielfältige Anknüpfungspunkte, um über das Leben von Schaustellern/innen zu recherchieren. Auch die rechtlich problematische und die Protagonisten/innen moralisch fordernde Situation des kleinen Mädchens bietet einen guten Diskussionsanlass.
Autor/in: Maren Wurster, 25.05.2010
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