Gothic-Girl und Lollipop-Lolita – Oona und Ari könnten nicht unterschiedlicher sein. Während Oona in einer abgehobenen Künstlerwelt aufwächst, lebt Ari in einer behüteten Vorstadtsiedlung unter den Augen ihrer überaus wachsamen Mutter. Hinter beiden Fassaden bröckelt der schöne Schein: Oona fühlt sich verantwortlich für den Selbstmord ihres Vaters und sucht einen Ausweg, in dem sie sich selbst verletzt. Ari wiederum bricht aus dem
kunterbunten Familienidyll aus, indem sie schnellen Sex mit älteren Männern sucht. Als sich die Mädchen treffen, spüren sie eine Seelenverwandtschaft. Aber ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt, als Ari ein Verhältnis mit Oonas Onkel beginnt, dem neuen Liebhaber ihrer Mutter.
Lollipop Monster ist ein Film der ästhetischen Exzesse und der Übertreibungen. Differenzierte Zwischentöne gibt es kaum, dafür aber umso mehr Extreme – und in diesen Extremen leben und denken die beiden Protagonistinnen. Oonas schwarze Welt wird kontrastiert mit der
bonbonfarbenen Umgebung von Ari, die mädchenhaft aussehende Ari provoziert durch ihr aggressives sexuelles Verhalten, Liebe steht neben Tod. So künstlich der Film durch seinen Stilmix aus Videoclipästhetik,
Farbverfremdungen, unterschiedlichem Filmmaterial und grafischen Comic-Elementen auch aussieht, so gut gibt er doch einen Einblick in die Wahrnehmung von Oona und Ari. In ihrer Freundschaft finden sie einen Freiraum, um sich gegen die Eltern aufzulehnen, und die Anerkennung, die sie zu Hause nicht bekommen.
Der Film lebt von seiner wilden und verspielten Inszenierung, die sich deutlich von sozialrealistischen
Coming-of-Age-Filmen unterscheidet. Die experimentelle Filmgestaltung bietet daher viele Möglichkeiten, im Unterricht Einflüsse unterschiedlicher Genres und Medien zu analysieren und diese in Beziehung zu den Gefühlswelten von Ari und Oona zu setzen. Obgleich der Film die übersteigerte Weltsicht der Mädchen zeigt und mit bitterem Humor verborgene Probleme in dysfunktionalen Familien sichtbar macht, sollten im Unterricht insbesondere die gezielten Provokationen und Grenzüberschreitungen diskutiert werden, vom Tabu der Verbindung zwischen betont kindlichem Aussehen und offensiver Sexualität bis hin zu einer blutigen Gewalttat, die in der Tradition schwarzer Komödien folgenlos bleibt.
Autor/in: Stefan Stiletto, 24.08.2011
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