Als Kym zu den Hochzeitsvorbereitungen ihrer Schwester Rachel anreist, verdüstert sich die fröhliche Stimmung. Die ehemalige Drogenabhängige ist das schwarze Schaf der Familie und sorgt durch ihre bissige Art nicht nur bei den Gästen für Beklemmung. Einst verursachte sie im Drogenrausch eine Tragödie, die wie ein Schatten über der großbürgerlich-liberalen Familie liegt. Zwischen Schuldgefühl und Hilfsbedürftigkeit schwankend, unterzieht Kym an diesem Wochenende die Liebesfähigkeit ihrer Angehörigen erneut einer schweren Belastungsprobe.
Inspiriert von Robert Altmans Gesellschaftsdramen und der
Dogma-Ästhetik von
Das Fest (Thomas Vinterberg, DK, SE 1998) hat Jonathan Demmes (
Das Schweigen der Lämmer; USA 1991)
Kammerspiel die Anmutung eines dokumentarischen Hochzeitsvideos. Die Zuschauenden werden unmittelbar in die Perspektive der unruhigen Handkamera hineingezogen und streifen von einer flüchtigen Begegnung zur nächsten, ohne filmisches Kunstlicht und mit
Live-Musik verschiedener Bands untermalt. Abwechselnd mit wackligen
Totalen auf Diners, Bandauftritte und bunte Multi-Kulti-Hochzeitsrituale greift die Kamera mit Reißschwenks einzelne Gesichter heraus. So webt der Film ein virtuoses Szenengeflecht, als dessen roter Faden allmählich die Interaktion zwischen Kym und ihren engsten Angehörigen hervortritt.
Diese einfühlsame Annäherung und Verdichtung hat den gegenteiligen Effekt eines Mainstream-Dramas, in welchem dem Publikum der Kernkonflikt vordergründig präsentiert wird. Für die filmpädagogische Arbeit in Fächern wie Deutsch und Kunst bietet die unorthodoxe Methode gute Möglichkeiten, Darstellungsformen zu analysieren. Die Wahl der Mittel ist der Beobachtung dieser, "auf den ersten Blick" perfekt toleranten Familie angemessen, die schwer aus der emotionalen Reserve zu locken ist. Dank der fragmentarischen Machart vermitteln sich ein interessantes Sittenbild eines bürgerlich-bohemienhaften Milieus und ein vielschichtiges Familienporträt. Sie bewirkt zugleich die Identifizierung des Publikums mit verschiedenen Figuren – allen voran mit der großartigen Hauptdarstellerin Anne Hathaway als Kym – und ihren Gefühlen, jenseits vorgefasster Meinungen. Gerade für Fächer wie Ethik oder Sozialkunde kann dies zur Reflektion gesellschaftlicher und privater Rollenbilder und –erwartungen herangezogen werden.
Autor/in: Birgit Roschy, 31.03.2009
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