Ein Zeitungsartikel veranlasst den Teenager Simon dazu, zuerst im Unterricht und dann im Internet eine unfassbare Geschichte zu erzählen: Als seine Mutter mit ihm schwanger war, habe sein muslimischer Vater in ihrem Koffer eine Bombe versteckt, die an Bord eines Flugzeuges nach Israel explodieren sollte. Was, angeregt durch seine Lehrerin, als schauspielerisches Experiment beginnt, gewinnt schnell an Eigendynamik. Anfangs diskutieren nur seine Mitschüler/innen die Geschichte, doch dann steigen immer mehr Menschen in die Debatte über die religiösen und ethischen Dimensionen des vermeintlichen Attentats ein. Derweil vermag auch Simon kaum noch, den Unterschied zwischen Fiktion und Realität zu erkennen und irrt zwischen sich widersprechenden Familiengeschichten des Großvaters, seines Onkels, mit dem er seit dem Tod seiner Eltern zusammenlebt, und seinen eigenen Erinnerungen umher.
Atom Egoyan erzählt vom Versuch eines Jungen, die disparaten Eindrücke seiner familiären Vergangenheit zu einem sinnvollen Ganzen zu formen, in einer für ihn typischen Verschachtelung der Zeit- und Realitätsebenen. Diese zwingt die Zuschauer/innen, die Wahrheit über die Ereignisse und Personen wiederholt neu in Frage zu stellen. In langsamen
Kamerafahrten, begleitet von einer fast meditativen
Filmmusik, eröffnet der Film die zentralen Handlungsebenen, die sich im Laufe der Geschichte auf mehr und mehr Figuren ausweiten. So entsteht auch ästhetisch eine Netzstruktur, die die Kamera immer wieder in den Bildschirmoberflächen der Chatrooms oder in dem Geflecht der sich kreuzenden Straßen einfängt. Was audiovisuell konsequent und sinnlich anregend umgesetzt erscheint, scheitert jedoch stellenweise auf der narrativen Ebene. Hier benötigt der Film oftmals etwas hölzern wirkende Dialoge, um die Geschichte voran zu bringen, wodurch
Simons Geheimnis seinen Rhythmus und inneren Zusammenhalt verliert.
Vor allem die vielen kontroversen Themen in
Simons Geheimnis lassen den Film stellenweise etwas thesenhaft wirken. Allerdings bieten sie vielfältige Anknüpfungspunkte zur Behandlung im Unterricht. So lässt sich anhand des geplanten Attentats auf ein israelisches Flugzeug etwa der Nahostkonflikt thematisieren. In den diversen Reaktionen von Simon und seinen Mitschülern/innen kann man den Diskurs über den Fremden oder Vorstellungen von Sicherheit und Terrorismus, wie auch die Frage nach Schuld und Sühne im Ethik/Religionsunterricht thematisieren. Weiterhin steckt in der
Coming-of-Age-Geschichte Simons die Frage nach jugendlicher Identitätsfindung und ihrem Zusammenhang mit traditionellen Werten wie der Familie oder Religion und modernen Medienerfahrungen wie dem Internet.
Autor/in: Alejandro Bachmann, 18.05.2009
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