Kinostart: 02.08.2018 Verleih:Camino Filmverleih Regie: Florian Weigensamer, Christian Krönes Drehbuch: Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer Darsteller/innen: Mitwirkende: Kwasi Yefter, Awal Mohammed, Mohammed Abubakar, Sulemana Junah, Fauzia Mohamed, David Berihun Cohen u.a. Laufzeit: 92 min, OmU Format: Digital, Farbe Barrierefreie Fassung: nein Filmpreise: CPH:DOX 2018 (Internationales Dokumentarfilmfestival Kopenhagen); Valletta Film Festival 2018; Filmfest München 2018 FSK: ab 6 J. Altersempfehlung: ab 15 J. Klassenstufen:ab 10. Klasse Unterrichtsfächer:Wirtschaft, Politik, Erdkunde, Ethik, Englisch
"Sodom" nennen die Bewohner ihren Stadtteil Agbogbloshie, nach der bekannten alttestamentarischen Stadt. Dieses Gebiet von Ghanas Hauptstadt Accra gehört zu den am schlimmsten verseuchten Orten der Welt: Obwohl dies nach der Basler Konvention von 1989 verboten ist, werden jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott aus Europa und anderen Ländern hierher verschifft. Etwa 6.000 Menschen leben auf und von der Müllhalde in Agbogbloshie, die einst ein Sumpfland war: Die Frauen kochen Wasser ab, das zum Trinken, Waschen und dem Ablöschen der Feuer dient, auf der Suche nach Metallteilen schleifen Kinder Magnete über den Boden, die Männer zerlegen alte Rechner und brennen die Plastikumhüllungen der Kabel ab, um an Rohstoffe zu kommen, die sich weiterverkaufen lassen. Bei diesen Arbeiten, die mit einfachsten Mitteln und ohne Schutzbekleidung im Freien stattfinden, werden giftige Substanzen in die Luft, den Boden und das Grundwasser freigesetzt; die Folgen für die Bewohner und die Umwelt sind gravierend. Und doch ist Sodom für seine Bewohner neben einer Hölle auch ein Ort der Hoffnung – ein Ort, der Arbeit bietet und die Aussicht auf ein gutes Geschäft, das einen schließlich von dort wegführt, vielleicht schon morgen.
Informiert man sich über die Lebensumstände in Ghanas "Toxic City", so ist es umso bemerkenswerter, dass es den Regisseuren gelungen ist, einen geradezu lyrischen Dokumentarfilm über dessen Bewohner/-innen zu drehen, ohne die Schrecken dieses Ortes zu verharmlosen. Die Poesie des Films entspringt einerseits der Kamera- und MontagearbeitMontagearbeit: In langen, ruhigen Einstellungen wird die beinah postapokalyptisch und surreal anmutende Szenerie eingefangen; durch viele Bilder ziehen tiefschwarze Rauschschwaden, durch andere eine Rinderherde. Daneben ist es die Tonebene, die die besondere Atmosphäre des Films prägt. Es gibt keine zentrale Erzählinstanz, die als Deutungshoheit auftritt und das Gezeigte in einer Voice-Over kommentiert. Stattdessen wird der Film von den Erzählungen seiner Protagonist/-innen getragen. Durch die Vielzahl der Stimmen entsteht ein Kaleidoskop an Eindrücken aus dem Inneren der Deponie, sie verweben sich mit den Bildern, den Umgebungsgeräuschen und den reduzierten elektronischen Klängen zu einer multiperspektivischen Erzählung, die große emotionale Sogkraft entwickelt und viele wichtige Fragen aufwirft.
Im Anschluss an die Filmsichtung empfiehlt es sich, weitergehende Informationen zur illegalen Müllentsorgung und den damit verbundenen Schäden für Menschen und Umwelt zusammenzutragen. Am Beispiel der Entsorgung von Elektrogeräten lässt sich diskutieren, inwiefern die Industrieländer eine Mitverantwortung an der Entstehung von Fluchtursachen tragen. Daneben sollte auch die Produktion berücksichtigt werden; so kann der Zusammenhang zwischen der Nachfrage nach wertvollen Rohstoffen aus Konfliktgebieten und schweren Menschenrechtsverletzungen nachvollzogen werden. Abschließend kann überlegt werden, welche Möglichkeiten jede/r einzelne hat, als Konsument/in Verantwortung zu übernehmen. Die besondere Ästhetik des Films regt dazu an, sich mit verschiedenen Formen des dokumentarischen Erzählens zu beschäftigen. Ausgehend von Dokumentarfilmen, die den Schüler/innen bereits bekannt sind, kann nach Unterschieden in der filmischen Gestaltung gefragt werden und danach, welche Haltung der Filmemacher in ihren Entscheidungen zum Ausdruck kommt.
Dieser Text ist eine Übernahme des VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Natália Wiedmann, 03.07.2018, Vision Kino 2018.