Berlin, 1929: Gereon Rath, ein junger Kommissar aus Köln, wird nach Berlin versetzt, um in einem Erpressungsfall zu ermitteln. Im Polizeipräsidium am Alexanderplatz, der "Roten Burg", gilt er als Sonderling. Rath ist ehrgeizig, neigt zu eigenmächtigen Ermittlungen und wäre ohnehin lieber im Mord- als im Sittendezernat. Doch in der brodelnden
Metropole der "Goldenen Zwanziger" sind solche Grenzen in Auflösung begriffen. Der pikante Fall um einen von der Unterwelt geführten Porno-Ring zieht weite Kreise. Undurchschaubare Schmuggelaktivitäten zwischen Deutschland und Russland hängen offenbar mit einem geplanten Staatsstreich der geheimen "Schwarzen Reichswehr" und der illegalen Aufrüstung der deutschen Streitkräfte zusammen – unter Umgehung des Versailler Vertrags.
Monarchisten, Militaristen und protestierende Arbeiter/-innen, aus der Sowjetunion geflohene Trotzkisten und Stalins Geheimdienst, die erstarkende NSDAP und das organisierte Verbrechen bringen die Republik ins Wanken. Ist das Berliner Polizeipräsidium eines der letzten Bollwerke der Demokratie? Doch auch hier geraten die sozialdemokratischen, teils jüdischen Führungskräfte – in der Regel realen Personen nachempfunden – in die Defensive. Gereon ermittelt bald auch in der Behörde, misstrauisch beäugt von seinem ruppigen Kollegen Bruno Wolter. Unterstützung bekommt er von der jungen Stenotypistin Charlotte Ritter, die auf ihren Aufstieg im Polizeiapparat hofft. Im Amüsierpalast "Moka Efti", wo die junge Frau gelegentlich als Prostituierte arbeitet, laufen zahlreiche Fäden der Handlung zusammen.
Freie Adaption einer erfolgreichen Roman-Reihe
Im Stil moderner Serien zeigt
Babylon Berlin Glanz und Schattenseiten der Weimarer Republik. Authentische
Kostüme und aufwendige Kulissen, teils mit
CGI-Effekten angereichert, lassen das historische Berlin auferstehen und machen das deutsche TV-Ereignis international vermarktbar. Die Serie beruht auf den
Rath-Romanen von Volker Kutscher, in denen er die politischen Entwicklungen in der Zwischenkriegszeit bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten nachzeichnet.
Babylon Berlin, Szene (DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
Unter Kutschers
Mithilfe wurde eine zeitgemäße Serienstruktur erarbeitet, die die Handlung seines ersten Romans "Der nasse Fisch" in die 16 Episoden der ersten beiden Staffeln gliedert und durch sich wiederholende Elemente und Cliffhanger
Spannung erzeugt. Wichtige Änderungen betreffen vor allem die Figuren. So wird der im Buch eher lethargische Gereon als "Kriegszitterer" eingeführt, der sein aus dem Ersten Weltkrieg stammendes Schlachttrauma mit Morphium bekämpft. Charlotte, im Roman eine emanzipierte Tochter des preußischen Bürgertums, wird in der Serie eine junge Tagelöhnerin aus ärmsten Verhältnissen, die sich neben Gelegenheitsjobs bei der Polizei als Prostituierte verdingen muss.
Von Caligari bis M: Weimarer Kino revisited
Mit seiner Serie rückt das Regieteam Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten eine Epoche in den Mittelpunkt, die in der deutschen Fernseh- und Kinolandschaft nur selten Gegenstand historischer Filme ist. Ebenso sind Filme aus den 1920er-Jahren bis auf wenige Klassiker in Vergessenheit geraten, hat doch der Bruch des Nationalsozialismus die kurze kulturelle Blütezeit und zugleich die aufregendste Phase des deutschen Films überlagert. Nicht nur thematisch, sondern auch ästhetisch wird daher versucht, die so entstandene Lücke zu schließen.
Babylon Berlin, Teaser (© X Verleih (Kino), DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
So erinnert bereits die
Titelsequenz an die avantgardistischen Formexperimente von Walther Ruttmann (
Opus I-IV, D 1921-25) und Hans Richter (
Filmstudie, D 1926). Durch die erwähnten – durchaus streitbaren – Änderungen gelingt der Anschluss an berühmte Filmtraditionen: Gereons Kampf mit eigenen Dämonen umkreist das Thema Wahnsinn, ähnlich dem Meisterwerk des deutschen Expressionismus, Robert Wienes
Das Cabinet des Dr. Caligari (1919). In Charlottes Milieu zeigt sich das Berlin der Hinterhöfe und verruchten Eckkneipen, bekannt aus den sozialkritischen Analysen des Proletarischen Films (z.B.
Kuhle Wampe, R: Slatan Dudow, 1932). Die Kriminalhandlung schließlich erinnert an Fritz Langs
M – Ein Stadt sucht einen Mörder (1931). Schon für diesen filmhistorischen Meilenstein lieferte die in den 1920er-Jahren hochmoderne Mordabteilung des Berliner Polizeipräsidiums das reale Vorbild.
Gezielt gesetzte Anachronismen
In
Babylon Berlin wird diese Zeit der strengen Zweireiher und flotten Hüte lebendig, nicht als Schwarzweiß- oder gar
Stummfilm, sondern in knalligen Farben und natürlich in Ton. Eine besondere Rolle spielt die
Musik. In einer markanten
Szene der zweiten Episode wird das "Moka Efti" zum Schauplatz einer wilden Tanznummer, in der sich der Aufbruchsgeist der Epoche ebenso spiegelt wie die allgegenwärtige Unsicherheit. Die Tanzenden steigern sich in einen Rausch – der berühmte "Tanz auf dem Vulkan". Die Musik dazu passt kaum zu ihren improvisierten Variationen von Charleston und Foxtrott, gleicht eher einem modernen Schlagerbeat. Wie in den Musical-Filmen von Baz Luhrmann (
Moulin Rouge, USA 2001) betont hier ein bewusster Anachronismus das Neue der damaligen Jazz- und Swing-Rhythmen, wird strenge Authentizität dem Ausdruck eines Lebensgefühls geopfert. Nicht ohne Grund steht Charlotte im Mittelpunkt dieser Szene. Im lustvollen Tanz von Männern und Frauen verschwimmen die Geschlechterrollen, verlieren alte Hierarchien ihre Bedeutung. Sie – die Aufstrebende – will diesen historischen Moment nutzen.
Babylon Berlin, Szene (© X Verleih (Kino), DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
"Weimarer Verhältnisse" – ein Abbild des Heute?
Im Berlin der 1920er-Jahre sah sich die Öffentlichkeit kurz nach dem Zerfall des Kaiserreichs und alter Gewissheiten mit Massenmedien, einem neuen Frauenbild, Pornografie und Psychoanalyse, dem unerbittlichen Kampf der Ideologien konfrontiert. Die zur Erstausstrahlung immer wieder betonte "Aktualität" der Serie sollte nicht überstrapaziert werden. Vom Chaos sogenannter "Weimarer Verhältnisse" mit drückendem sozialem Elend, blutigen Straßenschlachten und Putschversuchen – von der Serie dramatisch geschildert – kann heute kaum gesprochen werden. Doch das Moment der Beschleunigung, der Umwälzung politischer und ökonomischer Prozesse in rasantem Tempo und einem weit verbreiteten Gefühl der Überforderung verbindet diese Zeit mit der unseren.
Babylon Berlin zeigt, auf welch schwankendem Grund die Demokratie und ihre Institutionen gebaut sind. Das Gefühl einer unsichtbaren und diffusen Bedrohung, an deren Ende womöglich der Untergang steht, verleiht der Serie ihre nicht zu leugnende Spannung.
Autor/in: Philipp Bühler, freier Filmjournalist und Redakteur, 12.09.2018
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