Hintergrund
Jugendmedienschutz und Altersfreigaben
Richtlinien und Kriterien des Jugendmedienschutzes
Ob Film, Fernsehen, Radio, Printmedien, Tonträger, Computerspiele oder Internet – Kinder und Jugendliche sollen vor negativen Einflüssen durch Medien geschützt werden. Dieser Grundsatz ist rechtsverbindlich im Jugendschutzgesetz (JuSchG) sowie im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geregelt und zielt auf Wirkungsrisiken, welche die "Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigen" (§ 14 Abs. 1 JuSchG). Gesetzlich geregelt ist auch, dass Medieninhalte unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes eingehend geprüft werden müssen. Für Filme und Computerspiele gilt: Bevor sie in Deutschland auf den Markt kommen, müssen sie mit rechtlich verbindlichen Alterseinstufungen in fünf Stufen gekennzeichnet werden: ohne Altersbeschränkung, ab 6, ab 12, ab 16 Jahren und keine Jugendfreigabe. So soll sichergestellt werden, dass für Kinder und Jugendliche nur entsprechend freigegebene Medien zugänglich sind. Die Novellierung des JMStV, die unter dem Eindruck zunehmender Konvergenz in den Medien auch die Alterskennzeichnung von Internetangeboten regeln wollte, scheiterte hingegen jüngst am Einspruch eines Bundeslandes, das die mangelnde Übertragbarkeit und Ausgereiftheit des Kontrollsystems kritisierte.
Kontrolle durch Staat und Wirtschaft
Um Jugendmedienschutz wirksam umzusetzen, arbeiten Staat und Medienwirtschaft durch 'koregulierte Selbstkontrolle' Hand in Hand. Diesem Modell entsprechen zum Beispiel die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Der Staat bestimmt den gesetzlichen Rahmen und beteiligt sich an entsprechenden Strukturen, die Verantwortung bleibt jedoch bei den anerkannten Selbstkontrolleinrichtungen der Medienwirtschaft. Sie prüfen Medieninhalte daraufhin, ob diese die im Jugendmedienschutz verankerten gesellschaftlichen Werte und Normen einhalten. Bei Verdacht auf einen Straftatbestand wird das entsprechende Medium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) vorgelegt, die über eine Indizierung (Verbot) und einen damit verbundenen Eintrag in die Liste für jugendgefährdende Medien entscheidet.
Die Freigabekennzeichnungen stellen eine juristische Absicherung für Medienunternehmen dar, eine Vorlagepflicht bei den Kontrolleinrichtungen besteht jedoch nicht. Allerdings haben die in den freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen zusammengeschlossenen Wirtschaftsverbände ihre Mitglieder dazu verpflichtet, nur geprüfte und gekennzeichnete Medienprodukte öffentlich anzubieten. So zeigen etwa Filmtheater, die in den Kinoverbänden organisiert sind, nur von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft mit Kennzeichnung freigegebene Filme.
Freigabeentscheidungen
Die vorgelegten Medien werden bei den Selbstkontrolleinrichtungen von weisungsbefugten Gremien geprüft. Im Fall der FSK setzen diese sich zusammen aus Vertretern/innen, die von Verbänden der Film- und Medienbranche benannt werden, Repräsentanten/innen der Landesmedienanstalten, der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) sowie Vertretern/innen der öffentlichen Hand, benannt von Jugend- und Kultusministerien, den Kirchen und dem Bundesjugendring. Die Prüfungen wägen zwischen Belangen des Jugendmedienschutzes und den Grundrechten auf Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit ab, die da ihre Grenzen finden, wo sie dem Recht von Minderjährigen auf körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit zuwider laufen. Im Anschluss an die Diskussion der jugendschutzrelevanten Gesichtspunkte entscheiden die Prüferinnen und Prüfer nach dem Mehrheitsprinzip. In der abschließenden Bewertung spielt auch die Frage eine Rolle, inwieweit Kinder und Jugendliche bestimmter Altersstufen den jeweiligen Medieninhalt und seine Darstellungsweise verstehen und verarbeiten können.
Bewertungsstandards – Grundlage und Dilemma
Bewertungsstandards, die auf Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, Medienwirkungsforschung sowie medienethischen Positionen basieren, bilden die Grundlage für die Beurteilung von Medieninhalten und ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Beeinträchtigen die jeweiligen Medienangebote, beispielsweise durch problematische Darstellungen von Gewalt und Sexualität, die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen? Oder handelt es sich möglicherweise gar um jugendgefährdende Angebote, etwa um Pornografie, Verherrlichung oder Verharmlosung von Krieg und Gewalt, Rassismus oder Verletzung der Menschenwürde? Jugendschutzrelevante Prüfungen berücksichtigen, wie die Themen in Bild, Ton, Wort, Musik und Text dargestellt werden; sie fragen danach, welchen Einfluss diese Darstellungen im dramaturgischen Gesamtkontext auf Heranwachsende haben können. Letztlich können aber immer nur mehr oder weniger gut begründete Vermutungen über potenzielle Wirkungen angestellt werden. Die individuellen Reaktionen sind komplex und Medienwirkungen insgesamt sind häufig nicht eindeutig zu beschreiben. So reagieren Jungen oft anders als Mädchen. Bestimmte Filmszenen können auf Rezipienten/innen aus unterschiedlichen sozialen Umfeldern und mit unterschiedlichen kognitiven und emotionalen Dispositionen ganz verschieden wirken. Jugendmedienschutz fußt dementsprechend zwar auf grundlegenden, in der Spruchpraxis der Prüfgremien sich entwickelnden Maßstäben - ein klar definiertes, ein für allemal gültiges Bewertungsgerüst mit festgelegten Kriterien kann es jedoch nicht geben.
Illusion Jugendmedienschutz?
Angesichts der zunehmenden Konvergenz der Medien mit unüberschaubar gewordenen, globalen Vertriebswegen und schnelllebigen Medieninhalten scheint es geradezu eine Illusion zu sein, Kinder und Jugendliche von jugendschutzrelevanten Inhalten vollkommen fern halten zu wollen. Umfassende Kontrollen sind im digitalen Zeitalter kaum mehr möglich – eine Herausforderung für den Jugendmedienschutz, der auf dynamische Veränderungen der Medienlandschaft stets aktuell reagieren und vorhandene Ressourcen möglichst effektiv einsetzen muss.
Prüfstellen – in der Schusslinie der Öffentlichkeit
Immer wieder geraten Prüfstellen mit ihren Altersfreigabeentscheidungen in die Schusslinie der Kritik. Prominentes Beispiel für einen Kinofilm, an dem sich die Kritik an der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft entzündete, ist
Harry Potter und die Kammer des Schreckens (Harry Potter and the Chamber of Secrets, Chris Columbus, USA 2002).
Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Nachdem der Film von der FSK nicht – wie vom Verleih gewünscht – ab sechs, sondern ab zwölf Jahren freigegeben wurde, zeigten sich auch Eltern irritiert, die mit ihren jüngeren Sprösslingen ins Kino gehen wollten. Dem versucht eine mittlerweile eingeführte Altersfreigabe-Variante Rechnung zu tragen, die in anderen Ländern schon länger üblich ist: die so genannte Parental-Guidance-Regelung (PG). Mit Rücksicht auf die große psychisch-kognitive Entwicklungsspanne von Kindern im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren dürfen Filme mit der Altersfreigabe ab zwölf Jahren seither auch von Kindern ab sechs Jahren im Kino gesehen werden, wenn sie dabei in Begleitung ihrer Eltern sind. Kritiker/innen haben eingewandt, dass sich für diese Regelung längst nicht alle FSK-12-Filme gleichermaßen eignen. Die PG-Regelung betont in jedem Fall die Eigenverantwortlichkeit von Eltern, die bewusst einen Film auswählen sollten und ihre Kinder ins Kino begleiten müssen.
Hinweise, keine Wegweiser
Alterskennzeichnungen von Filmen oder Computerspielen dürfen weder als pädagogische Empfehlung noch als ästhetische Bewertung missverstanden werden. Als Instrument des Jugendschutzes kennzeichnen sie lediglich das Mindestalter,
das ein/e durchschnittliche/r Zuschauer/in oder Spieler/in haben sollte, um mögliche geistige und seelische Entwicklungsbeeinträchtigungen auszuschließen. Qualitative Gütesiegel sind sie damit nicht! Denn was Sechsjährige überfordert, kann Elfjährige schon wieder langweilen. Und selbst wenn ein Film keine problematischen Inhalte aufweist, müssen Thema und Darstellung für Kinder noch längst nicht geeignet, verständlich oder zugänglich sein. "Freigegeben ab sechs Jahren" bedeutet eben nicht "empfohlen ab sechs Jahren". Dies zeigte die vermeintlich harmlose Beziehungskomödie
Keinohrhasen (Til Schweiger, Deutschland 2007): Trotz positiver Figurenentwicklung polarisierten die mitunter vulgäre Sprache und die sexualisierten Inhalte des Films so sehr, dass die FSK-Freigabe nachträglich im Appellationsverfahren von sechs auf zwölf Jahre angehoben wurde. Die Diskussion um
Keinohrhasen illustriert aber auch, dass ein Film mit Kindern nicht immer ein Film für Kinder ist. In anderen Ländern versuchen Inhaltskennzeichnungen und detailliertere Altersabstufungen solchen und anderen Fehlschlüssen entgegen zu wirken.
Kontrolle ist gut – Information ist besser: Wegweiser im Mediendschungel
Die Alterskennzeichnungen und Festlegungen auf Sendezeiten der freiwilligen Selbstkontrollen dienen als ein wichtiger Orientierungsrahmen für den präventiven Jugendmedienschutz, keinesfalls können sie jedoch die aktive medienerzieherische Verantwortung von Familie und Schule ersetzen. Wo aber sollen sich Eltern, Erzieher/innen und Lehrkräfte hinwenden, wenn sie nicht sicher sind, was Kindern in welchem Alter zugemutet werden kann oder ob ein Film geeignet ist? Medienpädagogische Orientierung bieten zahlreiche Institutionen, die über Inhalt und Machart von Medien mit fachlich und pädagogisch fundierten Empfehlungen informieren. Das Onlineportal für Filmbildung kinofenster.de, die pädagogisch-didaktischen Filmtipps von VISION KINO oder die Angebote des Kinder- und Jugendfilmzentrums (KJF) möchten aufzeigen, welche Filme im Kino und auf DVD ab welchem Alter für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Sie unterstützen eine gezielte und verantwortungsbewusste Vorabinformation ebenso wie die umfassend informierenden Web-Portale flimmo.de oder schau-hin.info, die Fernsehprogramme bzw. Internet- und Computerangebote für Kinder und Jugendliche altersgerecht bewerten.
Autor/in: Katrin Miller, Medienpädagogin und Filmpublizistin, 10.03.2011
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