Es gibt nicht viele Filme, denen das Kunststück gelingt, eine Geschichte so unmittelbar auf die Bilder zu übertragen, dass Inhalt und äußere Form nahezu deckungsgleich werden.
Girlfight von Karyn Kusama ist so ein Film. Wie ein Seismograph scheint die Kamera alle Empfindungen und Erschütterungen seiner Protagonistin zu registrieren und sichtbar zu machen. Und das sind im Laufe dieser Adoleszenz-Geschichte eine ganze Menge. Der Film konzentriert sich auf die schwierige Entwicklungsphase einer jungen Frau im rauen Klima eines New Yorker Ghettos.
Grenzziehungen
Die etwa 18-jährige Diana schlägt in kritischen Situationen schnell zu, schneller noch als ihre vom Milieu auch nicht gerade verwöhnten Klassenkameraden. Die Hände tief in die Hosentaschen versenkt, mit finsterem Blick und nur mühsam gezügelter Angriffslust, wirkt sie – etwas forciert gespielt von Michelle Rodriguez – wie ein sprungbereites wildes Tier. Als sie eines Tages zufällig in ein Boxstudio gerät und – von den fliegenden Fäusten wie elektrisiert – Trainingsstunden nimmt, löst das die entscheidende Wende in ihrem Leben aus. Zum ersten Mal tut sie etwas ohne das Wissen und später – als er davon erfährt – gegen den Willen ihres dominanten Vaters. Zwischen den Seilen des Boxrings steckt sie den Raum ab, der nur ihr gehört, zu dem der Vater mit seinem Versuch, Gehorsam notfalls durch Gewalt zu erzwingen, keinen Zutritt mehr hat. Instinktiv spürt er die neu gezogenen Grenzen: Als er seine Tochter bei einem Kampf entdeckt, stürmt er wortlos aus der Halle – erst zu Hause wird er sie zur Rede stellen. Doch die Selbstsicherheit, die sich das Mädchen in den vergangenen Wochen heimlich erworben hat, lässt sich auch im familiären Mikrokosmos nicht mehr unterdrücken.
Rollen-Widerstände
Zusätzlich erschwert wird Dianas Kampf um Autonomie – darin am stärksten auf
Billy Elliot verweisend – indem er zugleich traditionelle Rollenmuster aufhebt und damit den Widerstand der Gesellschaft provoziert. Nur ein einziger Trainer erklärt sich bereit, Diana Boxunterricht zu geben und beim ersten Kampf mit einem männlichen Gegner entzieht sich ihr Gegenüber der drohenden Niederlage, indem er absichtlich seine Disqualifizierung herbeiführt. Von den diffamierenden Zwischenrufen aus den männlichen Zuschauerreihen ganz zu schweigen.
Äußere und innere Gegner
Aber letztlich geht es in
Girlfight immer um andere Gegner als die, mit denen Diana im Ring zu tun hat. Das sportliche Kräftemessen hat noch eine zweite, psychologische Ebene, die sich auch in ihrer Liebesgeschichte mit dem Boxer Adrien manifestiert: Eine gemeinsame Trainingsrunde zu einem kritischen Zeitpunkt ihrer Beziehung ist wie eine Aussprache inszeniert. Und eine hitzige Diskussion zwischen den beiden schneidet die Regisseurin in einem Rhythmus, der stark an die Boxkämpfe erinnert. Der schwerste Konflikt auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben aber ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich. Der Film zeigt das besonders in Naheinstellungen, in denen Dianas Fäuste ins Leere stoßen oder auf den Sandsack prallen, in denen sie keinen anderen Gegner hat als sich selbst.
Umgang mit Aggressionen
Der mühsame Prozess, die eigenen Bedürfnisse mit der eigenen Person in Einklang zu bringen, ist doppelt schwer, wenn Rückhalt, Zuspruch und Identifikationsfiguren fehlen. Und er ist anstrengend: Diana muss lernen, Kräfte zu bündeln, Aggression umzuwandeln in Energie, Stärke in kontrollierte Bahnen zu lenken. Die Spannung, die diese Entwicklung zwangsläufig begleitet, übersetzt der Film in dynamische Bilder vom Vorpreschen und Zurückschnellen, vom Angreifen und Ausweichen, oft noch verstärkt durch eine die Boxbewegungen effektvoll verstärkende Musik. Auf diese Weise ist ein Film voller Power entstanden, der zunehmend präzise und konzentriert wirkt, der druckvoll ist, aber gleichzeitig hochdiszipliniert – gerade so wie seine Protagonistin.
Das Leben – ein Boxkampf?
Wer
Girlfight vorwirft, wie in Kritiken schon geschehen, den Boxsport zu wenig kritisch darzustellen, übersieht, dass ihn dieser Film in erster Linie als Sinnbild nutzt. Dass die hier hergestellte Parallelität zwischen dem Boxring und dem eigenen Lebensraum nicht ganz unproblematisch ist und in jedem Fall Grenzen hat, ist der Regisseurin durchaus bewusst. Das zeigt sie zum Schluss in einer sehr stillen, intimen Konfrontation zwischen Diana und Adrien, wenn beide zu erkennen beginnen, dass sie ihr Leben nicht mit einem Boxkampf verwechseln dürfen, dass ihre Beziehung kein ständiger Wettkampf, keine permanente Frage von Siegen oder Niederlagen, von Austeilen und Einstecken werden darf. Damit ist diese letzte Szene auch eine der schönsten.
Autor/in: Tamara Dotterweich, 01.02.2001