Hintergrund
Culture Clash
Szene aus "Jalla! Jalla!"
Mit ihren Mandelaugen und dem duftigen Spitzenschleier, mit ihren rosigen Wangen und der großen Perle auf ihrer Stirn sähe Yasmin aus wie eine orientalische Prinzessin, wenn ihr Körper nicht in Jeans und T-Shirt und ihre Füße in Sneakers steckten. Mitten während der Ankleidezeremonie ist die Libanesin für einen Moment entwischt, um sich mit ihrem Liebsten zu treffen, der dort geboren ist, wo beide leben: in Schweden. Heiraten aber soll sie nicht ihn, sondern ihren Landsmann Roro, der gerade nach seiner schwedischen Freundin sucht, die zufällig von der bevorstehenden Hochzeit erfahren hat und nun weinend bei ihren Eltern sitzt. In
Jalla! Jalla! geht dann doch noch alles gut aus – in der Tradition der Hollywood-Komödien der 30er Jahre kommt es zur klassischen Rettung in letzter Minute. Zurück bleibt die libanesische Hochzeitsgesellschaft, zwei Großfamilien, die ihre Sprösslinge miteinander verheiraten wollten, weil sich das nun einmal so gehört, ob man im Ausland lebt oder nicht.
Das kulturelle Erbe
Jeans und Schleier – das ist ein gutes Bild für die Probleme der Kinder von Migranten aus islamischen Ländern, die oft ihre Vater- und Mutterländer gar nicht mehr kennen, aber gerade deswegen in deren Traditionen erzogen werden, weil sie in Westeuropa leben und die Eltern Angst haben, dass das kulturelle Erbe verloren geht. In Jeans und Kopftuch sieht man hier zu Lande häufig junge Türkinnen, und gerade die Kopfbedeckung ist für viele Deutsche ein rotes Tuch – gilt sie ihnen doch als Zeichen für die Ungleichberechtigung der Frau in islamischen Gesellschaften, unter der selbst die jungen Mädchen noch zu leiden haben. Und bei den älteren Frauen der ersten Generation wird sie manchmal als äußerer Beweis für den mangelnden Anpassungswillen der Migrantinnen gedeutet. Die gleichen Deutschen, die am Kopftuch Anstoß nehmen, fahren allerdings seit Jahren zu Zehntausenden an die türkische Riviera, wo sie möglichst unbekleidet am Strand liegen, in Gummischuhen und Badehose zum Mittagessen gehen, das sie selbstverständlich auf Deutsch bestellen und mit deutschem Geld bezahlen.
Verlorene Heimat
Culture clash – das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen ist in den letzten Jahren zum Modewort geworden; und gerade in Großstädten, wo die Bevölkerung heterogen ist – so leben beispielsweise im Berliner Stadtteil Kreuzberg Angehörige aus 110 verschiedenen Nationen (zum Vergleich: in der UNO sind 180 vertreten) auf engem Raum nebeneinander – muss man Rücksicht nehmen. Denn längst gibt es, zumindest in westeuropäischen Großstädten keine dominierende Kultur mehr, längst haben sich aber auch, seit die ersten Migranten hierher kamen, in deren Heimatländern Sitten und Gebräuche geändert. Und so sind manche Deutsche, die seit Jahrzehnten mit ihren türkischen oder afrikanischen Nachbarn kein Wort wechseln und stattdessen vorwurfsvoll registrieren, dass sie andere Musik hören als man selbst, mindestens so kurzsichtig wie die türkischen Patriarchen, die ihre Töchter in Deutschland noch so erziehen, wie sie das bei ihren Müttern und Schwestern vor Jahrzehnten in der Heimat erlebt haben, die sich in ihrer Alltagsrealität auch geändert hat.
Musik und Sprache
Beide Parteien übersehen, dass die Kultur der Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation sich längst vermischt hat mit der der Einwandererländer: Das betrifft vor allem die Musik, den HipHop und den Rap (der übrigens aus den afroamerikanischen Wohnvierteln US-amerikanischer Städte kommt und dann schnell vom weißen Mainstream aufgesogen wurde, genauso wie die Rapper- und Gangsta-Mode, die von weißen Teenagern kopiert wird). Es betrifft natürlich auch die Mode – nicht nur ethnisch konnotierte, sondern auch streetwear – und schließlich die Sprache. Unbekümmert sprechen Einwandererkinder vom Balkan, aus Afrika und aus dem Orient vor allem in der Jugendszene eine Mischung aus Deutsch und Sprachbrocken ihrer Heimatländer, unbekümmert sprechen aber auch ihre deutschen Schulkameraden einen Slang, der sich aus den verschiedenen Sprachgebräuchen direkt ableitet und mitunter witzig, oft aber auch so rudimentär ist, dass man annehmen könnte, die Sprechenden seien in gar keiner Sprache sattelfest.
Szene aus "Jalla! Jalla!"
Gefundene Heimat
Wer die Sprache des Landes, in dem man lebt, nicht beherrscht, wird sich dort niemals heimisch fühlen. Auch nicht, wenn man dessen Nationalität besitzt. Heimat nämlich ist nicht allein Nation oder Nationalität, Religion oder Geographie – es ist eher ein virtueller Ort, der sich aus all dem und noch viel mehr zusammensetzt: aus Nachbarschaft, aus Stimmen, Gerüchen, Tönen, Momentaufnahmen und Erinnerungen. Wer das begreift, hat auch verstanden, dass sich Yasmin und Lisa, Roro und Måns in demselben kleinen Stadtpark in Schweden zu Hause fühlen.
Literaturhinweise:
Jan Engelmann: Die kleinen Unterschiede: Der Cultural Studies-Reader, Campus Verlag, Frankfurt am Main 1999 Nils Röller (Hg.): Migranten. Merve Verlag, Berlin 1995 Mark Terkessidis: Migranten. Rotbuch Verlag, Hamburg 2000 Ahmet Toprak: Sozialisation und Sprachprobleme: Eine qualitative Untersuchung über das Sprachverhalten türkischer Migranten der zweiten Generation IKO-Verlag, Frankfurt am Main 2000 Annette Treibel: Migration in modernen Gesellschaften: Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht. Juventa Verlag, Weinheim 1999
Autor/in: Daniela Sannwald, 21.09.2006