Es ist wohl die exotische Erscheinung, die Carola am Ende ihres Urlaubs in Kenia auf den ersten Blick für den Samburu-Krieger Lemalian entbrennen lässt. Der Eingeborene ist reich geschmückt, seine langen roten Haare sind zu feinen Zöpfchen geflochten, sein Gesicht ist mit Zeichen bemalt. "Ich kann den Blick nicht mehr abwenden", schreibt Corinne Hofmann in ihrem autobiografischen Bestseller "Die weisse Massai", "er sieht wie ein junger Gott aus". Der Anblick überwältigt die junge Schweizer Touristin dermaßen, dass sie ihr ganzes Leben innerhalb nur weniger Stunden auf den Kopf stellt. Sie trennt sich kurzerhand von ihrem langjährigen Freund, reist diesem geheimnisvollen Krieger hinterher und möchte an seiner Seite in dessen Heimat eine neue Existenz aufbauen – den Warnungen einer anderen Deutschen zum Trotz, die schon seit mehreren Jahren mit einem Schwarzen in Kenia lebt und ihr zu bedenken gibt, dass eine Frau dort nicht mehr wert sei als eine Ziege.
Eine wahre Geschichte
Hermine Huntgeburth hat die wahre Geschichte von Corinne Hofmann an Originalschauplätzen verfilmt. Sie schildert die afrikanischen Jahre einer weißen Frau, die durch ihr naives Verhalten einerseits befremdet, andererseits mit ihrer Entschlusskraft, Energie und Eigenständigkeit durchaus beeindruckt. Carolas neuer Lebensabschnitt beginnt in der kenianischen Steppe. Allein der für sie vollkommen ungewohnte Alltag birgt Härten: Sie muss mit ihrer Schwiegermutter und ihrer Nichte eine kleine Lehmhütte teilen, zu essen gibt es getrocknetes rohes Ziegenfleisch. Die soziale Integration für sie als Weiße wird zudem durch sprachliche Barrieren, unterschwelligen Rassismus und Bürokratie sehr erschwert.
Kulturelle und eheliche Konflikte
Zu schwer wiegenden Konflikten nach ihrer Eheschließung mit weißem Brautkleid mitten im afrikanischen Busch kommt es, als Carola ihren Willen durchsetzt und im Samburu-Dorf einen kleinen Krämerladen eröffnet. Der kulturell vollkommen anders sozialisierte Lemalian sieht es nicht gerne, dass seine Frau dort arbeitet. Er drangsaliert sie mit unbegründeten Eifersuchtsanfällen, verbietet ihr, männliche Kunden mit einem Lächeln zu bedienen und mischt sich hinter ihrem Rücken heimlich in ihre Geschäfte ein. Mehrmals kommt es dabei zu heftigen Auseinandersetzungen, in denen Carola mal mehr, mal weniger versöhnlich nachgibt, wohl in der Hoffnung, dass der Schönling durch ihren Einfluss auch innere Qualitäten entwickeln möge, die ihren Vorstellungen entsprechen. Doch darauf wartet Carola vergebens.
Unvereinbarkeiten
Dennoch zeigt sie Geduld mit einem Mann, der ihr immer mehr zur Belastung wird und sie demütigt. Besonders hart wirkt eine Szene, in der Carola Zeugin eines grausamen Beschneidungsrituals an einem 15-jährigen Mädchen wird. Entsetzt wendet sie sich an Lemalian um Hilfe, der die Verstümmelung aber mit rituellen Gründen rechtfertigt. Selbst der italienische Pfarrer einer benachbarten Missionsstation zeigt sich ohnmächtig und meint, eine Änderung dieser Praktiken könne allenfalls langfristig erfolgen. Carola ist darüber aufgebracht, zieht aber dennoch keine Konsequenzen, obwohl sie als tüchtige und erfolgreiche Geschäftsinhaberin finanziell unabhängig ist und sich jederzeit mühelos verändern könnte. Die sexuelle Attraktivität des Kriegers ist offenbar so übermächtig, dass Carola trotz seines in ihren Augen egoistischen und rücksichtslosen Verhaltens lange Zeit bei ihm bleibt.
Falsche Idealisierungen
So speziell und extrem der Fall auch sein mag, sollte man Carolas Ehekonflikte jedoch nicht auf unüberbrückbare ethnische Differenzen reduzieren. Psychologisch gesehen verhält sich die Filmheldin nicht anders als Tausende von Frauen überall auf der Welt, die nicht unter ähnlich extremen Bedingungen leben und eine scheinbar ganz normale Ehe führen: Sie verzeiht ihrem Mann die demütigenden Entgleisungen im Namen der "Liebe" und aus Angst vor der unabwendbaren bitteren Erkenntnis, dass eine Beziehung gescheitert ist, die noch lange idealisiert und für funktionierend gehalten wurde.
Einsicht durch Gewalt?
Es passieren noch weitere menschliche Katastrophen, bevor Carola Konsequenzen zieht. Einmal verblutet eine hochschwangere Frau mitten in den Wehen vor ihren Augen, weil die umstehenden Männer glauben, sie sei verhext und sich weigern, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Carola selbst überlebt wie durch ein Wunder die Geburt ihres Kindes, bei der es zu ernsten Komplikationen kommt. Mit dem Buschflugzeug wird sie in letzter Sekunde in die Klinik geflogen. Doch erst, als der Psychoterror ihres Mannes unerträglich wird und er sie nach einem Streitgespräch ins Gesicht schlägt, wird ihr klar, dass ihr Leben in Afrika keine Zukunft hat. Carola schlägt zurück und packt ihre Koffer. Der misstrauische Lemalian will sie mit dem Kind zwar nicht gehen lassen, weil er ahnt, dass sie nicht zurückkehren wird, willigt am Ende aber doch ein. Ob dies eine Einsicht in das eigene Versagen darstellt, bleibt offen, denn die Zuschauenden erfahren nicht, wie er die Beziehung erlebt hat. Hermine Huntgeburth erzählt die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive ihrer weißen Heldin.
Diskussionsstoff
In der fabelhaften Nina Hoss hat die Regisseurin eine Hauptdarstellerin gefunden, die all die großen Erwartungen dieser Frau mit nahezu dokumentarisch wirkender Authentizität widerspiegelt und ihr überhitztes Verhalten erklärlich macht: ihre anfängliche kindliche Freude, ihre Verliebtheit, ihre Sehnsucht nach spektakulären Veränderungen und einem neuen Leben. Allerdings entsteht im Lauf der Handlung unweigerlich eine Kluft zwischen dem schlichten Gemüt der Corinne aus der Romanvorlage, deren teils einfältige Reaktionen bei vielen Lesern/innen Kopfschütteln hervorrufen dürften, und der Filmfigur Carola, die eine weitaus intelligentere Nina Hoss verkörpert. Trotz alledem ist
Die weisse Massai ein sehenswerter und diskussionswürdiger Film, der sich anhand eines spektakulären Sonderfalls kritisch mit Geschlechterbildern und Rollenverhalten auseinander setzt und zugleich unterschwellig auf mögliche Probleme in kulturübergreifenden Ehen und patriarchalisch strukturierten Beziehungen verweist.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.07.2005