In einem anderen Land
Gleich neben dem Portrait von Astrid Lindgren hängt auf dem Stockholmer Flughafen ein riesiges Foto der schwedischen Hochspringerin Kajsa Bergqvist. Der zwölfjährige Azad bleibt kurz stehen und betrachtet es lächelnd. Seit er ein kleiner Junge ist, verehrt er die Sportlerin, und schon früh sah er sich lieber Leichtathletikwettkämpfe als Fußballspiele im Fernsehen an. Irgendwann einmal will auch er so gut und so hoch springen können wie sein großes Vorbild. Doch Azads Freude ist nur von kurzer Dauer. Gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Tigris und einer befreundeten Familie seiner Eltern ist Azad auf der Flucht. Eigentlich sollte er mit Tigris ins deutsche Frankfurt am Main zu ihrem Onkel reisen. Doch eine Schlepperbande hat die Kinder hereingelegt. Nun sind sie in Schweden, ganz auf sich alleine gestellt. Es wird dauern, bis auch ihr Vater und ihre Mutter eine Gelegenheit finden, aus ihrem Heimatland im Mittleren Osten zu fliehen.
Der Traum von Freiheit
Mit einem Trick gelingt es Azad immerhin, dass die Freunde seiner Eltern vor den schwedischen Behörden am Flughafen nicht nur ihre eigenen Kinder, sondern auch ihn und seinen Bruder als ihre Söhne ausgeben. Doch diese Familie lebt selbst in ständiger Angst, wieder in ihr vom Bürgerkrieg zerrüttetes Heimatland abgeschoben zu werden, und gibt diesen psychischen Druck vor allem an Azad und Tigris weiter. Zudem lässt die Mutter, fast schon überzeichnet wie eine böse Stiefmutter im Märchen, die Brüder deutlich spüren, dass sie nicht ihre eigenen Kinder sind. Je schwieriger es Azad fällt, Kontakt zu seinen eigenen Eltern aufzunehmen, desto mehr fühlt er sich von diesen im Stich gelassen. Aber schnell erkennt er, was er tun muss, um auf eigenen Beinen zu stehen: Schwedisch lernen! Als Azad schließlich nach anfänglichen Schwierigkeiten Freundschaft mit dem gleichaltrigen Schweden Marcus schließt, schöpft er neue Hoffnung. Denn dessen Vater trainiert ein Hochsprungteam, das zu einer Meisterschaft nach Berlin eingeladen wurde. Vielleicht kann er ja auf diese Weise doch nach Deutschland zu seinen Verwandten gelangen.
Bedroht in der Heimat
Die Familie von Azad und Tigris ist kurdischer Herkunft, doch wird ihr genaues Herkunftsland nie ausdrücklich genannt. Beiläufig reißt der Film an, unter welch bedrohlichen Bedingungen Azads Eltern leben und warum sie fliehen wollen. Die Striemen auf dem Rücken des Vaters etwa, der als Schriftsteller gegen die herrschende Verhältnisse anschreibt, deuten auf Folter oder Misshandlung hin, die ständige militärische Überwachung auf einen autoritären Staat. Aber in den Vordergrund rücken keine konkreten gesellschaftspolitischen Hintergründe oder historischen Ereignisse, sondern die universell verständliche Lebenssituation von Menschen, die ihre Heimat aufgrund von (Bürger-)Kriegen oder Verfolgung verlassen müssen.
Bilder des Exils
Doch auch im Exil ist nicht alles besser. Azad und sein Bruder teilen in Schweden zunächst die Probleme vieler Migranten/innen. Sie verstehen die Sprache nicht, die Kultur und Lebensweise sind ihnen fremd, sie haben weder Verwandte noch Freunde, die ihnen beistehen. Zudem drohen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebung. Zwar werden die verbalen Kommunikationsschwierigkeiten im Film wegen der Synchronisation leider nicht ganz deutlich, doch betont die musikalische Untermalung vieler Szenen mit traditionellen kurdischen Rhythmen und Instrumenten sowohl die Verbundenheit der beiden Jungen mit ihrer Kultur als auch ihr Heimweh. Mit einfach verständlichen Symbolen setzt die Kamera, die fast immer nahe bei den Jungen bleibt, Azads Träume und Gefühle in Bilder um und lässt die Zuschauenden unmissverständlich an seiner schwierigen Lebenssituation teilhaben. Wenn er eines Nachts etwa sehnsuchtsvoll nach draußen blickt und einen Vogel sieht, dann lässt der Schatten des vergitterten Fensters den Jungen wie in einem Gefängnis wirken.
Ernst und Hoffnung
Aus der Perspektive von Azad, der auch als Erzähler des Films fungiert, erzählt
Hoppet von dem Schicksal zweier Jungen, die von heute auf morgen aus ihrem gewohn-
ten Lebensumfeld gerissen werden. Dass seine Geschichte einen ernsten Hintergrund hat, daran lässt bereits die erste Szene des Films keinen Zweifel: Wäh-
rend Azad mit Tigris in seinem Heimatland Hochsprung übt, kündigen sich dröhnend Kampflugzeuge an und werfen wenig später ihre Bomben über dem Gebiet ab. Azad und Tigris verstecken sich in einer großen Kiste und versuchen, sich gegenseitig zu beschützen. Doch für Tigris hat das lebensbedrohliche Ereignis traumatische Folgen: Seither spricht er kein Wort mehr. Obgleich Tigris der ältere der beiden Brüder ist, trägt Azad fortan die Verantwortung. Einen optimistischen Grundton aber gewinnt der Film durch seinen jungen Protagonisten mit dem starken Willen. "Hoppet" bezeichnet übersetzt nicht nur den "Sprung", sondern auch die "Hoffnung". In Azads Leben ist das eine nicht mehr von dem anderen zu trennen.
Vorbilder und Ersatzfamilien
Hochsprung ist für Azad mehr als nur ein Sport. Er liebt das Gefühl, für kurze Zeit – frei wie ein Vogel – durch die Luft zu fliegen. Zudem hat er mit Kajsa Bergqvist ein Idol, dem er nacheifern und an das er glauben kann. Die Anerkennung, die er wegen seines sportlichen Talents erfährt, bestärkt ihn, sein Leben selbst zu gestalten und in die Hand zu nehmen. So finden sich auch im Exil immer mehr Menschen in seinem Umfeld, die eine Art Ersatzfamilie für ihn bilden: Marcus, der bei seinem alleinerziehenden Vater lebt, oder der Hot-Dog-Verkäufer, der Azad mit guten Ratschlägen zur Seite steht und ihm Mut macht. Gestärkt durch diesen Rückhalt, kann Azad schließlich eine zweite spannungsreiche, an Abenteuerfilme angelehnte Flucht wagen, dieses Mal von Schweden nach Deutschland. Die Märchenhaftigkeit, mit der manche Handlungsverläufe aufgelöst werden, nimmt der ernsthaften Thematik ihre Schwere. So erscheint der verschrobene, aber weise Hot-Dog-Verkäufer zunehmend wie eine "gute Fee", die mit einer Überraschung in großer Not aufwartet, und während der Reise nach Deutschland tragen eine gehörige Portion Glück und viel Verständnis der Erwachsenen zum Erfolg der Unternehmung bei. Auch wenn der Film sicherlich nicht in aller Härte die Realität vieler Flüchtlingskinder zeigt, vermittelt er doch einfühlsam, was es bedeutet, sich alleine in einem fremden Land zurecht finden zu müssen. Nach all den Problemen, die Azad und Tigris überwinden mussten und die ihnen vielleicht auch noch bevorstehen, entlässt
Hoppet sein junges Publikum mit Mitgefühl und Hoffnung für das Schicksal der Helden aus dem Kino.
Autor/in: Stefan Stiletto, Medienpädagoge mit Schwerpunkt Filmkompetenz und Filmbildung, 06.09.2007
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