Samson Odhiambo muss es wie ein Traum vorgekommen sein: Der Junge aus dem Slum Kibera in Nairobi wurde als Hauptdarsteller für den Film
Soul Boy (Deutschland, Kenia 2010) der ghanaisch-kenianischen Regisseurin Hawa Essuman ausgewählt. Jetzt tourt das von Regisseur Tom Tykwer protegierte Projekt bereits seit Monaten durch die Filmfestivals dieser Welt und erhält neben viel positiver Resonanz auch Auszeichnungen wie beispielsweise den
Dioraphte Audience Award des International Film Festival Rotterdam in den Niederlanden oder drei
Kalasha Film Awards im heimischen Kenia. "Eine solche nationale und internationale Präsenz eines kenianischen Films in der Sprache Swahili und ohne jegliche inhaltliche westliche Komponente ist beispiellos", erklärt Tykwer im Gespräch.
Laila Dayan Opollo am Set
Seinen Anfang nahm das Projekt im Jahr 2008 mit einem Workshop der unabhängigen Filmproduktionsfirma One Fine Day Films. Mit dieser Neugründung erweiterte Tom Tykwer das Repertoire des Kunsterziehungsprojekts seiner Lebenspartnerin Marie Steinmann One Fine Day e.V., einer Schwesterorganisation der britischen Nichtstaatlichen Organisation (NGO) Anno's Africa, um das Filmemachen. Die Zielsetzung ist gleich: Junge Menschen, die aus Slums wie Kibera kommen, und kaum Zukunftsperspektiven haben, erhalten die Möglichkeit, in Workshops ihrer Fantasie Gestalt zu geben, spezifische Talente zu entdecken und kreative Fähigkeiten weiterzuentwickeln.
Marie Steinmann und Tom Tykwer am Set
Der Erfolg des Pilotprojekts
Soul Boy führte zur Erweiterung der Initiative: Gemeinsam mit der kenianischen Filmproduktionsfirma Ginger Ink, der Akademie der Deutschen Welle (DW), der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, dem Goethe-Institut sowie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hob One Fine Day Films das Trainingsprogramm
FilmAfrica! aus der Taufe. Das Projekt wird maßgeblich vom BMZ finanziert und zielt darauf, Entwicklungszusammenarbeit nicht nur in wirtschaftlicher und technologischer, sondern auch in kultureller Hinsicht zu fördern. Im Rahmen von
FilmAfrica! produzieren ostafrikanische Nachwuchsfilmemacher/innen, die dafür in allen filmischen Gewerken wie Regie, Drehbuch, Schnitt, Kamera, Szenenbild oder Kostüm weitergebildet werden, jedes Jahr einen Spielfilm. Dabei unterstützt sie ein kleines Team internationaler Filmprofis mit ihrem Know-how. Denn Afrika bietet zwar genügend Stoff für tolle Geschichten, es mangelt jedoch an Filmfachleuten, die dem Nachwuchs ihr Wissen vermitteln.
Die Synergien dieses kulturellen Austauschs kommen ausdrücklich und vornehmlich den afrikanischen Filmemacher/innen zugute. "Die individuellen, künstlerisch unabhängigen Stimmen sollen gefördert und dem ambitionierten Film so eine Chance innerhalb und außerhalb des Kontinents geschaffen werden. Dadurch kann die Wahrnehmung Afrikas und seiner spezifischen Themen in angemessener und moderner Form kommuniziert werden", sagt Tom Tykwer. Aber auch langfristige Perspektiven für die afrikanischen Filmschaffenden werden dadurch ausgebaut. Laut Tykwer konnten viele Mitarbeiter/innen von
Soul Boy aufgrund der gewonnenen Erfahrungen in der Filmbranche Fuß fassen. Doch auch er selber habe von der Mitarbeit an
Soul Boy profitiert, da sich vor seinen Augen eine ganz andere Art von Geschichte entfaltete und auf eine ungewohnte Weise realisiert wurde.
Nicht nur die Professionalisierung Einzelner und das Entwickeln einer eigenen Filmsprache stehen im Mittelpunkt der Trainingsmaßnahmen von
FilmAfrica!; auch der Ausbau und die Stärkung der nationalen Filmindustrie und die Unterstützung bei der Platzierung eigener Produktionen auf dem internationalen Markt sind ein wesentliches Anliegen. Der Fokus auf authentische Autorenfilme, in denen junge Afrikanerinnen und Afrikaner ihre eigenen Geschichten erzählen, könnte tatsächliche eine Wende für die Filmarbeit auf dem afrikanischen Kontinent bedeuten. An filminteressiertem Nachwuchs mangelt es nicht, die Begeisterung für Filme ist groß. Allerdings fehlen Ausbildungsmöglichkeiten und Kinofilme aus Afrika sind völlig unterrepräsentiert. Auf dem heimischen Medienmarkt dominieren Fernsehformate wie Soap Operas oder so genannte Nollywood-Filme, das afrikanische Pendant zu den indischen Bollywood-Großproduktionen. Finanzkräftige europäische und US-amerikanische Filmproduktionen wie
Der ewige Gärtner (The Constant Gardener, Fernando Meirelles, Großbritannien 2005) oder
Blood Diamond (Edward Zwick, USA, Deutschland 2006) widmen sich zwar durchaus Themen, die für den afrikanischen Kontinent relevant sind. Doch sie wurden für den westlichen Markt produziert, es sind Filme über Afrika, nicht aus Afrika.
Soul Boy wurde hingegen von Menschen der Region realisiert und versteht sich als Fenster zu afrikanischen Lebenswelten. Welch wichtige Rolle die Entstehungsgeschichte des Films spielt, zeigt sich auch daran, dass der Abspann Aufnahmen von den Dreharbeiten zeigt. Die nächsten zwei Jahre, so Tykwer, sei die Finanzierung von
FilmAfrica! gesichert. Die zweite Generation von
FilmAfrica!-Auszubildenden steht bereits in den Startlöchern. Nach Workshops im Spätsommer 2010 mit rund 60 Teilnehmern/innen wurden die Dreharbeiten zum Nachfolgeprojekt
Nairobi Half Life (David Tosh Gitonga) – vor Kurzem abgeschlossen. Da bleibt zu hoffen, dass das Projekt Schule macht.
Autor/in: Stefanie Zobl, 25.11.2010
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