Ende der 70er Jahre entstand eine Welle von Horrorfilmen, die mit dem alten 'gothischen' Geist des Genres nicht mehr sonderlich viel zu tun hatten und von denen einige selbst nach heutigen Maßstäben ausgesprochen brutal wirken. Mit einer Art von nihilistischem Zorn ließen die "jungen Wilden" des amerikanischen Films kannibalistische Provinzfamilien, psychotische Serienmörder und Zombies aus den Gräbern auf ein Publikum los, das offensichtlich keinen Wert mehr auf subtile Spannungsdramaturgie oder kathartische Lösungen legte. Mit dem Erfolg von John Carpenters
Halloween aus dem Jahr 1978 etablierte sich das "Teenage Slasher Movie" als Subgenre und als ausgesprochen formelhafte Weise der Schreckenserzeugung: Ein scheinbar unbezwingbarer, stummer Mörder, der sich hinter einer Maske verbirgt, dezimiert eine Gruppe von Jugendlichen, wobei Sex&Drugs&Rock'n'Roll das Monster unweigerlich anziehen. Überleben können nur jene, die der Empfehlung der Moralapostel folgen: Say No! Erzeugt wird das Monster durch eine weit zurückliegende Schuld, einen Defekt im Familienroman. Auf den ersten Blick erscheint dieses beinahe ein Jahrzehnt lang erfolgreiche Subgenre als eine unerquickliche Mischung aus Leinwand-Sadismus und puritanischer Moral. Aber etwas genauer betrachtet findet man darin auch die Widerspiegelung von Ängsten und Erfahrungen einer Generation von Jugendlichen zwischen Vietnam und Woodstock, die sich ganz und gar allein gelassen fühlen musste. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts verschwand das Subgenre in den Niederungen des Trash-Movie oder tendierte, wie die
Nightmare-Filme um den Traummörder Freddy Krueger, zu ironischer Selbstreferenz. Skandal und Rezept dieser Filme hatten sich verbraucht, aber auch das Lebensgefühl der Jugendlichen hatte sich erneut verändert. Ihnen entsprach die Coolness eines Quentin Tarantino mehr, als der pathetische Nihilismus der (nun nicht mehr ganz so) jungen Wilden.
Scream – Schrei! scheint nun zugleich die Renaissance des Teenage Slasher Movies zu bedeuten, als auch seine mehr oder weniger endgültige Demontage. Wie schon in früheren Werken spielt Regisseur Wes Craven auch hier mit den Konventionen des Horrorfilms und lädt die Zuschauer dazu ein, nicht nur die dramaturgischen, sondern auch die psychologischen Tricks zu durchschauen, um sie dann doch wieder in einen Abgrund des Schreckens zu führen. Der Film handelt von einer Gruppe Jugendlicher, die einem maskierten Mörder zum Opfer fallen. Von ihren Vorgängern unterscheiden sich diese Kids aber durch ihr Wissen um die Regeln des Genres. Nicht zufällig ist eine Videothek ihr beliebtester Treffpunkt, gehören Videos von Slasher Movies zu ihrer Vorstellung von einer gelungenen Party, wird unentwegt über Horrorfilme geredet. Dass Craven im Verlauf der Handlung all diese 'Regeln' des Genres zugleich erfüllt und bricht, gibt dem Film nicht nur einen völlig neuen dramatischen und auch moralischen Anstrich, sondern lädt auch zu einer Reflexion über den Zusammenhang zwischen medialer und 'realer' Gewalt ein. Da freilich, wo Michael Haneke in
Funny Games jede kathartische Lösung verweigert, den Zuschauer unbarmherzig zum Mitschuldigen macht, bedient uns Craven in einem finalen Blutbad mit mehrfachen Erlösungen: die Heldin überlebt ihre Entjungferung, die Mordanschläge und schließlich auch die furchtbare Erkenntnis der Schuld ihrer einst ermordeten Mutter.
Dieser 'postmoderne' Umgang mit den Bildern innerer und äußerer Gewalt reflektiert sozusagen im Film selbst, was sich längst als Strategie beim Konsum der Gewaltfantasien etabliert hat: ein Spiel von Distanzierungen und Hingabe, von Ironie und Grauen. Um den vielen Paradoxien bei der Beschäftigung mit den Gewalt-Bildern eine weitere hinzuzufügen, erscheint dies zugleich als aufklärerischer Fortschritt und als Perfektionierung medialer Barbarei. Dem Blick ist jede mythische Unschuld genommen, Wenn man will, kann man sich dabei selbst bei der Angstlust an der Gewalt beobachten. Gleichzeitig ist der Blick strategisch diffundiert, ort- und perspektivlos geworden, so dass sich mit dieser Methode wahrlich jede Art von Gewalt goutieren lässt. Aber dieser Widerspruch ist keine Erfindung von Wes Craven, er ist ein Motor unserer Medien-Entwicklung.
Autor/in: Georg Seeßlen, 01.11.1997