Matthias Zwilling und Rosa Zuckermann gehören zu den letzten Juden und Jüdinnen, die Ende der 1990er-Jahre in der westukrainischen Stadt Czernowitz leben. Täglich besucht der 70 Jahre alte Chemielehrer seine 90-jährige Freundin, die ukrainischen Kindern Deutsch und Englisch beibringt. Beide bekommen längst Rente, doch der klamme ukrainische Staat kann diese nicht immer und schon gar nicht pünktlich zahlen. Gemeinsam schauen sie Fernsehen, lesen Zeitung oder diskutieren das Weltgeschehen. Was sie verbindet, ist nicht nur die Religion, sondern auch die deutsche Muttersprache – und das gemeinsame Schicksal. Vor dem Zweiten Weltkrieg war annähernd die Hälfte der Bevölkerung von Czernowitz jüdisch. Der Großteil fiel der Shoah zum Opfer und starb in den Todeslagern Transnistriens. Herr Zwilling und Frau Zuckermann haben überlebt. Trotz des unvorstellbaren Leids, das ihr widerfahren ist, entpuppt sich Rosa Zuckermann als Optimistin, die Literatur liebt und sich als Zionistin zu erkennen gibt. Matthias Zwilling hingegen ist ein moderner Hiob: Der wirtschaftliche Verfall der Ukraine macht ihm ebenso zu schaffen wie die Erfahrung der Shoah und das Leid, das ihn ein Leben lang begleitet.
Kameramann Thomas Plenert agiert mit einer
ruhigen Kamera, die nah bei dem befreundeten Paar bleibt. Die Einstellungen changieren, zeigen mal
Totalen, dann wieder geht die Distanz gänzlich verloren und der Zuschauende bekommt schnell das ungute Gefühl, in die Privatsphäre der Porträtierten einzudringen. Unkommentiert zeigt Regisseur Volker Koepp Gesichter und Menschen, die lachen, stoisch in die Kamera blicken oder diese gänzlich ignorieren. Ausdauernde Bilder bestimmen die Szenerie. Deutlich wird, dass in Czernowitz eine unsichtbare Barriere zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Einwohnern und Einwohnerinnen existiert. Koepp zeigt beide Welten, aber nie zusammen: Während die einen muntere Feste feiern oder über den Markt schlendern, findet das jüdische Leben hinter geschlossenen Türen statt. Das jüdische Erbe ist für die Mehrheitsgesellschaft weitgehend unsichtbar, zumindest aber in Vergessenheit geraten. Die Tristesse der
Drehorte konterkarieren komische Elemente, etwa die Purim-Feierlichkeiten, bei denen die alten Männer in der Synagoge mit Kinderspielsachen Lärm machen. Die Grundstimmung bleibt dennoch düster und bisweilen bedrückend angesichts der schonungslosen
Interviewpassagen, in denen unverblümt die Gräueltaten der Nazi-Zeit geschildert werden.
Herr Zwilling und Frau Zuckermann, Trailer (© Edition Salzgeber)
Auschwitz oder Sachsenhausen sind Orte, die Jugendliche durch den Schulunterricht mit der Shoah in Verbindung bringen. Der Film ermöglicht, auch über das Leid der jüdischen Bevölkerung in der osteuropäischen Peripherie zu sprechen. Im Geografieunterricht bietet es sich an, unter Berücksichtigung der wechselnden Zugehörigkeit der Bukowina, wie die Region rund um Czernowitz heißt, die einstige Vielvölkerregion und deren politische Entwicklung zu analysieren. Ausgehend von den Beschlüssen der Wannseekonferenz kann im Fach Geschichte untersucht werden, wie das NS-Regime Verfolgung und Mord von jüdischen Frauen, Männern und Kindern in West- und Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs organisiert und durchgeführt hat. Die jüdischen Feiertage und Rituale lassen sich im Religionsunterricht betrachten, wobei auch die Frage nach der identitätsstiftenden Funktion von Religion diskutiert werden kann. Zugleich lässt sich über den "Exodus" der überlebenden Ostjuden und -jüdinnen, die nach 1945 infolge wirtschaftlich schwieriger Verhältnisse zu großen Teilen die Ukraine verlassen haben, die Gründung des Staates Israel erklären. In einer fächerübergreifenden Recherche können Einblicke in das Leben in Czernowitz 20 Jahre nach der Premiere des Dokumentarfilms gewonnen werden. Es empfiehlt sich, dass die Schülerinnen und Schüler sich in diesem Zusammenhang auch darüber informieren, wie sich das jüdische Gemeindeleben vor Ort seitdem entwickelt hat.
Autor/in: Max Müller (Text vom 30.05.2019), 20.01.2022
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