Nach dem Fall der Mauer ist in Berlin ein "babylonisches Baufieber" ausgebrochen, das, so der Filmemacher Hubert Siegert, "auch vor der bestehenden Stadt nicht halt machte." Wie Architekten und Städteplaner, Poliere und Bauarbeiter aus vielen Ländern unbebaute Innenstadtareale in Besitz nehmen, Baulücken füllen, überflüssige Altbauten abreißen und der Hauptstadt ein neues Gesicht verpassen, schildert Siegert in seinem faszinierenden Essayfilm. Fünf Jahre hat der aus Düsseldorf stammende Filmemacher an seiner "dokumentarischen Vision" gearbeitet. Sie beleuchtet die Baustellen der neuen Großbauten am Potsdamer Platz ebenso wie Albert Speers Bauzeichnerturm aus der NS-Zeit. – Ausgangspunkt für das Berliner Architektur-Porträt ist der Vergleich mit der antiken Metropole Babylon. Siegert vertritt die These, dass wie in Babylon die Angst vor der Leere das rationale Geschäftsgebaren der Immobilienbranche in Berlin zu rastloser Tätigkeit gesteigert habe. Gegen diese Rastlosigkeit setzt sein Film ein wirksames ästhetisches Gegenmittel: Mit ruhigen Hubschrauberflügen, Zeitlupenaufnahmen gesprengter Altbauten und bedächtigen Beobachtungen der Bauarbeiten arrangieren die Kameramänner Ralf K. Dobrick und Thomas Plenert dramaturgische Kontrapunkte. Da Siegert zudem auf Off-Kommentare verzichtet, gewinnt man Zeit zum Betrachten, Assoziieren, Wiedererkennen und Nachdenken. Einen wesentlichen Beitrag zum subjektiv verfremdeten Blick auf die Hauptstadt leistet der Soundtrack von der Szenegruppe "Einstürzende Neubauten" und aus klassischen Werken, die ironische Kontraste zum Bildgeschehen ergeben.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.09.2001