Deutschland im 18. Jahrhundert: Als früh begabte Schüler aus unterschiedlichen Milieus haben Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und Alexander von Humboldt (1769-1859) eine flüchtige Begegnung. Doch ihre Wege trennen sich: Gauß, Sohn armer Leute, bleibt in Deutschland, heiratet und wird mit seinem Lehrbuch der Zahlentheorie
Disquisitiones Arithmeticae (1798) zum bedeutendsten Mathematiker des Landes. Der Adlige Humboldt reist zunächst nach Lateinamerika und begründet mit seinen botanischen, zoologischen und geografischen Forschungen die moderne Naturwissenschaft. Erst im hohen Alter und längst berühmt, treffen sich die beiden Wissenschaftler erneut und reflektieren ihre unterschiedlichen Lebenswege. Trotz gegenseitigen Respekts bleiben sie sich innerlich fremd.
Die Doppelbiografie beruht auf dem gleichnamigen Weltbestseller von Daniel Kehlmann und wie dieser auf einem hohen Maß an Fiktion: Gauß und der deutlich ältere Humboldt verkörpern weniger konkrete Personen als konträre Archetypen wissenschaftlichen Genies. Während der eine "im Kopf zu Hause" bleibt und seine mathematischen Formeln vornehmlich in Innenräumen erarbeitet, durchstreift der andere den Dschungel, nimmt Messproben, kauft Sklaven/innen frei und speist sogar mit Kannibalen/innen. Gemeinsam ist dem Humanisten Humboldt und dem konservativen Gauß die geniebedingte Unfähigkeit zu tieferem menschlichen Kontakt. Ihre als sehr deutsch belächelte Eigenbrötlerei schlägt sich in humoristischen bis grotesken Vignetten sozialer Inkompetenz nieder. Die Unverbundenheit dieser Episoden gibt die gegenseitige Fremdheit, aber auch die narrative Struktur des in abwechselnden Kapiteln erzählten Romans wieder. Der 3D-Effekt verstärkt den Eindruck eines stationenhaften Lustspiels, das einer Guckkastenbühne näher kommt als klassischem Erzählkino.
Die Vermessung der Welt liefert einen meist
farbenprächtigen Bilderbogen des klassizistischen Zeitalters, leidet aber auch an zahlreichen Schwächen. Noch deutlicher als in der Romanvorlage wirken die verschrobenen Charaktere karikiert, für nachdenklichere Momente fehlte offenbar der Platz. So sollten im Unterricht nicht nur die allgemeinen Schwierigkeiten einer Literaturverfilmung diskutiert werden. Auch Gedanken darüber, wie leicht freundliche Respektlosigkeit in Bloßstellung umzuschlagen vermag, sind in diesem Fall angebracht. Dennoch eignet sich der Film als unterhaltsamer Einblick in das Leben zweier Geistesgrößen sowie Faszination und Gefahren wissenschaftlichen Forschens.
Autor/in: Philipp Bühler, 23.10.2012
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