Im Jahr 814 wird in ärmlichen Verhältnissen ein Mädchen geboren, das hinter dem Rücken seines streng gläubigen Vaters lesen und schreiben lernt, gegen die kirchliche Praxis in einer Domschule aufgenommen wird und sich, zur jungen Frau herangewachsen, als Mann verkleidet, um weiterhin als Mönch Gott dienen zu können. Johanna pilgert nach Rom, rettet dem schwer erkrankten Papst das Leben und tritt später seine Nachfolge an. Während einer Prozession erleidet sie eine Fehlgeburt, stirbt an Ort und Stelle und wird aus den Annalen der Kirche getilgt.
Sönke Wortmann setzt in seiner Adaption des Erfolgsromans
Die Päpstin (1996) ganz auf die klassischen Stilmittel des Historienfilms. Er lässt die mittelalterlichen Kostüme und Schauplätze mit großem Aufwand rekonstruieren und hebt die Liebesgeschichte zwischen Johanna und dem Grafen Gerold mit auffälligen Stilmitteln hervor. Wenn die fiebrige Heldin auf einem Schiffchen den Rhein hinab treibt, sieht sie ihren Geliebten dank einer kunstvollen
Überblendung am Sternenhimmel stehen. Im Finale suggeriert eine
Parallelmontage, dass Johanna ihre Fehlgeburt erleidet, weil sie den gewaltsamen Tod Gerolds am eigenen Leib erfährt.
In der seriösen Forschung wird weitgehend ausgeschlossen, dass die Geschichte der Päpstin auf Tatsachen beruht. Erst im 13. Jahrhundert findet die Legende zum ersten Mal Erwähnung und wird heute als Spottschrift gegen den "schwachen" Papst Johannes VIII. gedeutet. Dass sich die Geschichte der Päpstin so hartnäckig hält, speist sich wohl aus anderen Quellen: In ihrem Schicksal ist das belastete Verhältnis der katholischen Kirche zu den Frauen griffig thematisiert und melodramatisch zugespitzt. Obwohl sich Sönke Wortmann die Gelegenheit entgehen lässt, das mittelalterliche Kirchenleben glaubwürdig darzustellen, bietet der Film lohnende Ansätze für den Unterricht. So ließe sich im Geschichtsunterricht die Quellenlage der Legende untersuchen und fragen, aus welchen Gründen sich ihre Lesart mit den Zeiten und Autoren/innen wandelt. Im Religionsunterricht könnte man die Diskriminierung der Frauen innerhalb der katholischen Kirche diskutieren. Und generell drängt sich die Frage auf, wie viel Selbstverleugnung heutige Gesellschaften den Frauen abverlangen.
Autor/in: Michael Kohler, 21.10.2009
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