Frankreich, 1955: Der siebenjährige jüdische Junge Francois leidet darunter, den hohen Anforderungen seiner sportlichen, attraktiven Eltern – die Mutter Tania ist eine passionierte Turmspringerin, der Vater Maxime ein ehemaliger Spitzenathlet –, nicht gerecht zu werden. In der Not erfindet das sensible, schmächtige Einzelkind einen imaginären stärkeren Bruder, der dem Idealbild seines Vaters entspricht. Als 15-Jähriger findet er heraus, dass es diesen Bruder tatsächlich gegeben hat, ein Kind aus erster Ehe seines Vaters, von der er bislang nichts wusste. Nach und nach erkennt er, dass die Vergangenheit seiner Eltern von einem düsteren Geheimnis umgeben ist.
Das Familiendrama um eine Liebesgeschichte, die eng mit der Judenverfolgung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs verknüpft ist, beruht auf dem autobiografischen Roman von Philippe Grimbert. Claude Miller siedelt seinen stilistisch innovativen Film auf mehreren zeitlichen Ebenen an: Die Figur des Francois Grimbert taucht im Film in drei Altersstufen auf – als Sieben- und Vierzehnjähriger sowie im Erwachsenenalter. Die Erzählung beginnt Mitte der 1980er-Jahre, als Francois’ Eltern schon im Ruhestand sind, wobei die filmische Gegenwart entgegen der klassischen filmästhetischen Konventionen in Schwarzweiß, die Rückblenden in Farbe gezeigt werden. Auf diese Weise stellt Miller eine Analogie zur Erzählstruktur des Romans her, denn Grimbert erzählt das Vergangene im Präsens und die Gegenwart im Präteritum.
Ein Geheimnis beleuchtet einen Teil deutsch-französischer Geschichte, lotet die Verhaltensweise der französischen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus aus und erzählt von den langen Schatten der Schuld, der Last des Schweigens und der Befreiung durch das miteinander Reden. Trotz der "schweren" Themen behält die Inszenierung auch eine gewisse Leichtigkeit, wohl auch weil der größte Teil der Geschehnisse aus der Sicht des Kindes und Jugendlichen Francois erzählt wird. Der Junge romantisiert die schwierige Liebesgeschichte seiner Eltern und stellt sich ihren Aufenthalt auf dem Land während der deutschen Besatzung idyllisch vor. Packend wirkt der Film dank undurchsichtiger Charaktere mit Abgründen und Rätseln, deren Entwicklungen stets unabsehbar bleiben. Die komplexeste Figur ist Hannah, Maximes erste Frau, die sich im entscheidenden Augenblick zu ihrer jüdischen Identität bekennt und damit ihr Leben und das ihres Sohnes aufs Spiel setzt. Ausgehend von dieser Figur ergeben sich gute Diskussionsansätze für die filmpädagogische Arbeit, die moralische Fragen nach Schuld und Moral sowie Verknüpfungen von Privatem und Politischem aufwerfen.
Autor/in: Kirsten Liese, 14.12.2008
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