Das Interview führte Margret Köhler.
In der Zeitung "Le Monde" äußerten Sie, Ihr Film handele nicht nur von der Schule oder einer einzelnen Klasse. Was steht für Sie im Mittelpunkt?
Es gibt die oberflächliche Betrachtung und das wahre Thema. Der Film erzählt vordergründig von einer Zwergschule, dem Lehrer, Kindern, Eltern und einem Dorf. Ich mache aber keine soziologische Reportage über Schulen auf dem Land, sondern führe zu einer Diskussion über das Erlernen von sozialen Verhaltensweisen, von Verantwortung, von Solidarität.
Ein Plädoyer für eine menschlichere Schule?
Das gehört dazu. Dabei schildere ich eine Schule, in der man lernt, über die Dinge des Lebens nachzudenken und sich gegenseitig zuzuhören, zu respektieren. Die Kinder sind autonom, die Großen kümmern sich um die Kleinen. Alle diese Werte sind am Verschwinden. Ich verherrliche nicht die Vergangenheit oder schwelge in Nostalgie. Aber diese Zwergschule vermittelt den Kindern etwas, was man in den Schulfabriken der Großstadt vergeblich sucht.
Glauben Sie an Solidarität?
Der Mensch ist von Natur aus nicht gut. Um friedlich zusammenzuleben, müssen wir uns von archaischen Verhaltensmustern befreien. Das erfordert viel Arbeit und Selbstkritik, sonst würden wir ja im Paradies leben. Wir können uns dem Ziel immer nur ein bisschen nähern, ganz erreichen wir es wohl nie.
Welche Philosophie steckt hinter Ihren Filmen?
Ich interessiere mich immer für die Frage: Wie können wir lernen, zusammenzuleben, gemeinsam etwas aufbauen, trotz unserer scheinbar saturierten Existenz? Ich werfe Fragen auf, gebe keine Antworten. Die einzige Antwort heißt, jeder muss sich bemühen, ganz individuell eine Antwort zu finden.
In der letzten Szene verabschiedet sich der Lehrer von seinen Schülern. Auch ein Adieu an diese Schulform?
Das würde ich nicht sagen, vielmehr ist es ein Hinweis auf das durchgehende Element der Trennung. Das beginnt, wenn der Minibus die Kinder zu Hause abholt und die Tür mit einem Klack schließt, wenn der Lehrer darüber nachdenkt, dass er in Rente geht, wenn die Größeren sich verabschieden, um aufs College zu wechseln oder der kleine, zukünftige Schüler im Arm des Lehrers heult, weil er von der Mutter separiert ist. Erwachsenwerden heißt, etwas Gewohntes hinter sich zu lassen. Ein schmerzhafter Prozess für Kinder und Jugendliche, weil sie nicht wissen, was die Zukunft bringt. Zweifel und Ängste sind Bestandteil der Kindheit.
Im Jahre 1997 gehörten Sie zu einer Filmemacher-Gruppe, die sich für die "sans-papiers”, die illegalen Einwanderer einsetzte. Sind Sie ein sehr politischer Mensch?
Von meinen ersten Sport- oder Bergfilmen abgesehen, enthalten meine langen Dokumentarfilme alle eine politische Aussage. Nicht so direkt und dogmatisch wie beispielsweise Michael Moores
Bowling for Columbine, der sich auf ein Thema konzentriert und den Zuschauer bewusst manipuliert. Ich will Erwachsene auf einer ganz subtilen Ebene ansprechen, ihnen nicht vorschreiben, was sie denken sollen, sondern an ihre eigene Verantwortung appellieren.
Eine letzte Frage: Sind Sie gerne in die Schule gegangen?
Erinnern Sie mich nicht daran, bohren Sie nicht in dieser Wunde aus Kinderzeit. Ich habe alles verdrängt, weil ich mich in der Schule traurig und unglücklich fühlte. Zwar war ich nicht der schlechteste Schüler, aber ich wartete eigentlich immer auf den Ferienbeginn. Bis dahin habe ich durchweg gelitten. Deshalb bin ich für größtmögliche Freiheit in der Schulerziehung, Druck bringt überhaupt nichts. Die Kinder verschließen sich und verweigern sich der Vermittlung von Wissen. Autorität ja, aber keine autoritäre Erziehung, die ist kontraproduktiv.