Mareike Sehr steuerte einige Szenen über die Duisburger Love Parade am 24. Juli 2010 für
Life in a Day – Ein Tag auf unserer Erde (Kevin Macdonald, Großbritannien 2011) bei. Aus dem knapp vierminütigen Clip, den die 29-Jährige auf YouTube hochlud, übernahm Kevin Macdonald für seinen Kompilationsfilm unter anderem die Aufnahmen der Menschenmenge vor und im Tunnel auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände.
Was hat Sie daran gereizt, bei dem Projekt Life in a Day mitzumachen?
Ich habe den Aufruf einen Monat zuvor auf Google gelesen. Alles, was mit Film oder Dokumentation zu tun hat, interessiert mich sowieso. Ich fand die Idee klasse, diesen einen Tag in einer Zeitkapsel festzuhalten. Ich wollte mit meinen Aufnahmen ein Teil dieses globalen Projektes sein.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet Bilder der Love Parade einzureichen?
Ich bin mit drei Freunden dahin. Wir sind nicht die größten Love-Parade-Fans, aber wir wollten sie uns auf jeden Fall einmal anschauen. Ich habe mir halt überlegt, was ich am 24. Juli aufnehmen könnte, und ich dachte, okay, das ist vielleicht an diesem Tag das einzig Interessante in deinem Leben. Außerdem ist die größte Tanzveranstaltung der Welt sicher einen Videobeitrag wert. Deswegen hab ich meinen kleinen Camcorder mitgenommen. Dass es sich dann zu einer solchen Katastrophe entwickeln würde, konnte ich nicht ahnen.
Wie haben Sie die Love Parade erlebt?
Es waren wahnsinnig viele Leute unterwegs. Auf dem Weg zum Veranstaltungsgelände wurde man in diese Tunnel geschoben. Keiner wusste, wo man hinmusste, und man kam sich vor wie in einer Falle. Es war richtig heftig, alles drängte sich, aber die Leute hatten noch gute Laune, haben getanzt und gesungen. Aber das kann ja schnell umschlagen. Ein Freund sagte, wenn hier 'ne Panik ausbricht, kann sich keiner retten. 20 Minuten später ist es dann genau so gekommen. Aber da hatten wir den Bereich an dieser Treppe, wo das Unglück geschah, schon passiert. Wir hatten wirklich Glück!
Was haben Sie gefilmt?
Der komplette Film ist schon sehr persönlich. Er ist so aufgebaut, wie ich es erlebt habe: Ich habe uns gezeigt, wie wir gefeiert haben, den Weg entlang gegangen sind, wie eng das war, wie die Leute getanzt haben. Unter die Aufnahmen des Wegs vom Tunnel zum Gelände habe ich später einen Herzschlag gelegt, Musik ist hier nicht zu hören. Das war nämlich genau der Weg, wo das später passiert ist. Am Ende spreche ich darüber, was an dem Tag geschehen ist.
Aus dem gesamten Clip wurden nur wenige Szenen übernommen. Haben Sie das Gefühl, dass Life in a Day Ihr persönliches Erleben widerspiegelt?
Von knapp vier Minuten, die ich auf YouTube eingestellt habe, wurden maximal zehn bis 15 Sekunden übernommen. Da fiel natürlich einiges raus, zum Beispiel Gruppen, die tanzten und Spaß hatten. Das finde ich ein bisschen schade. Doch im Kontext des gesamten Films kann ich es verstehen, weil die Love Parade an der Stelle ist, wo es bedrohlich wird. Aber immer, wenn ich
Life in a Day sehe und die Musik höre, die jetzt darunter liegt, dann bin ich zurück in dieser Situation. Das würde der Film nicht schaffen, wenn es völlig an mir oder meiner Geschichte vorbei ginge. Ich finde, die Filmemacher haben es gut rübergebracht.
Hatten Sie Bedenken, Ihren Film einzureichen, der ja auch sehr privat ist?
Meine Freunde wussten, dass ich meine Kamera dabei habe, und haben mitgemacht. Bis zur ersten Premiere auf YouTube ahnte niemand, was aus den Clips im Endeffekt genommen wurde, wie die das dramaturgisch aufbauen. Aber was am Ende dabei rumgekommen ist, ist wirklich Wahnsinn! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass etwas von mir genommen würde, man sieht mich auch nicht, aber ich weiß, dass meine Aufnahmen drin sind. Den Film bei der Berlinale zu sehen, war großartig.
Wie stehen Sie generell zur Veröffentlichung von privaten Szenen im Netz?
Life in a Day lebt ja von so einer Privatheit. Jeder entscheidet für sich, was er da von sich preisgeben will. Ich habe jemanden kennengelernt, dessen Clip zeigt, wie er sich morgens die Zähne putzt, und ihn gefragt, ob ihm das nicht zu privat ist. Er meinte: Wofür ist YouTube sonst da? Viele haben kein Problem damit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren oder Privates preiszugeben. Und in
Life in a Day erfährt man nur, dass sich jemand in einem Badezimmer die Zähne putzt, aber man weiß nicht, wer die Person ist. Ich habe ja nicht die Katastrophe gefilmt oder die Frau, bei der versucht wurde, sie wiederzubeleben. Das finde ich richtig heftig und hätte es vielleicht auch nicht eingereicht. Aber ich habe nur den Weg gezeigt, die Enge, die dort herrschte. Da habe ich kein schlechtes Gewissen.
Was erhofften Sie sich von der Publikation Ihres Filmbeitrags in Life in a Day?
Für mich war entscheidend, dass dieses Unglück und die Unfähigkeit der Menschen dort – vom Bürgermeister über die Polizei bis hin zur Politik – nicht vergessen wird. In den Berichten wurde viel schön geredet, da hieß es immer, die Maßnahmen seien richtig gewesen. Aber ich war 20 Minuten vor dem Unglück an der Stelle. Alles war total chaotisch. Die hatten gar nichts unter Kontrolle. Ich wollte nicht von der Katastrophe profitieren, damit ich eine Chance habe, in den Film zu kommen. Ich wollte einfach, dass nicht vergessen wird. Und ich denke, das habe ich erreicht.