Nur wenig mit dem Filminhalt hat der reißerische deutsche Verleihtitel zu tun. In James Mangolds Drama geht es um psychische Verhaltensstörungen eines jungen Mädchens. Wie schon seinerzeit
Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen bezieht sich auch dieser Film auf eine wahre Geschichte. Nach dem autobiografischen Roman von Susanna Kaysen, die ihre Erinnerungen an einen zweijährigen Aufenthalt im McLean Psychiatric Hospital, einem privaten und exklusiven Sanatorium, 20 Jahre später verarbeitete, inszeniert Mangold den Leidensweg und die Selbstfindung einer 17-Jährigen in den späten 60er Jahren.
Susanna (überzeugend: Winona Ryder) erklärt sich nach einem halbherzigen Selbstmordversuch – sie schluckt 50 Aspirin und eine Flasche Wodka – auf Druck ihrer Eltern bereit, in die berüchtigte Claymoore-Klinik zu gehen. Sie weiß aber nicht, dass nur die Ärzte über eine mögliche Entlassung entscheiden. Nach deren Meinung leidet sie unter schwerer Persönlichkeitsstörung. In der hermetisch abgeschlossenen Watte-Welt trifft sie auf Gleichaltrige: Polly, die sich mit Benzin übergossen hat, nachdem ihr die Eltern das Schoßhündchen wegnahmen, Daisy, die womöglich von ihrem Vater missbraucht wurde, die unter Magersucht leidende Janet und Susannas Zimmergenossin George, eine pathologische Lügnerin, die sich ins
Wizard of Oz-Imperium flüchtet. Besonders angezogen ist sie von der charismatischen Lisa (Angelina Jolie hat für diese Rolle einen Oscar als Beste Nebendarstellerin erhalten), die schon seit Jahren immer wieder den Ausbruch probt, immer wieder zurückgebracht und bei ihren Tobsuchtsanfällen in die Zwangsjacke gesteckt wird. Während die meisten Insassen vor sich hindämmern, ist die attraktive Lisa ein unzähmbares Energiebündel, für die das Brechen von Regeln (Über-)Lebenselixier bedeutet. Die Mädchen bilden eine verschworene Gemeinschaft gegen Ärzte und Schwestern, deren Soziogramm und Funktion jedoch unklar bleibt – wie vieles in diesem Film, beispielsweise genauere Informationen über das soziale Milieu der Mädchen, die vermutlich alle aus der Mittelschicht stammen.
Durchgeknallt wandelt auf ausgetretenen Pfaden. Wie so oft wird es als krankhaft angesehen, dass ein junges Mädchen in der Umbruchphase des Erwachsenwerdens mit emotionalen und persönlichen Schwierigkeiten kämpft. Dass der Grund vielleicht nicht in der weiblichen Natur, sondern eher in der männlich orientierten Umwelt liegt, darüber wird nicht reflektiert. Allerdings lässt der Film keinen Zweifel an der patriarchalischen Struktur der damaligen Psychiatrie und deren rigide Vorstellung von Moral. Susanna, die nach einer Kurzaffäre mit einem Highschool-Lehrer auch noch Sex mit ihrem Hippie-Freund hat und den Krankenpfleger küsst, gilt als promiskuitiv. Niemand versteht die Einsamkeit und den Hunger nach Zuneigung einer Heranwachsenden. Die zarte Person wirkt nicht wirklich psychisch krank, ihre Auffälligkeit heißt Nichtangepasstsein, mit ihrem nonkonformen Verhalten – während ihre Mitschüler von Studium und Karriere träumen, sucht der Teenager noch nach Orientierung und möchte am liebsten Schriftstellerin werden – irritiert sie die auf gängige Normen fixierte, bürgerliche Umgebung. Das Ende ist deprimierend: Susanna darf nach 18 Monaten die Klinik als "geheilt" verlassen, ironischerweise im selben Taxi, mit dem sie gekommen ist. Es erwartet sie kein besseres Leben, aber ein reguliertes, auf eingefahrenen Gleisen; die Aufgabe des inneren Widerstandes rettet sie vor weiterer Internierung. Für die rebellische und selbstzerstörerische Lisa dagegen gibt es keine "Freiheit". Sie präsentiert kein ideales Rollenmodell und zeigt keine Reue, erhält die "gerechte" Strafe.
"Verrückt ist ein Wort, mit dem jeder etwas anfangen kann. Dazu laden wir mit unserem Film ein: zu der Idee, dass jeder verrückt ist, dass die Konsequenzen aber weit gehend davon abhängen, als wie verrückt man von der Gesellschaft eingestuft wird ... Verrückt wird gemessen daran, wie sehr wir uns dem unterordnen, was die Gesellschaft von uns erwartet, ... wie sehr wir bereit sind, uns auf die Regeln einzulassen." (James Mangold, Regisseur)
Nur in seltenen Momenten erreicht
Durchgeknallt die Intensität von Psychiatrie-Klassikern wie
Einer flog über das Kuckucksnest, es fehlt die permanente Bedrohung und Gewalt. Die Inszenierung der Psychiatrie geschieht teilweise mit dem Weichzeichner. Wenn die Mädchen nachts "ausbüchsen", ihre kleinen Fluchten zu einer ausrangierten Bowlingbahn führen, unterscheiden sie sich nicht von anderen Mädchen ihres Alters. Wenn sie im Ärztezimmer heimlich ihre Diagnosen lesen, spürt man die Arroganz einer Medizin, der es nicht um Selbstverwirklichung des Individuums, sondern um Konformität geht. So stellt sich die Frage, wer verrückter ist, die engstirnigen Therapeuten oder die ungestümen Teenager. Die gesellschaftliche Krise wird zur persönlichen umgewandelt, aber nicht so diagnostiziert. Mangold vermeidet jegliche Analyse, gibt keine Antworten. Aber allein die aufgeworfenen Fragen geben schon genug Stoff für eine Diskussion.
Autor/in: Margret Köhler, 01.06.2000