Hintergrund
Das Hongkong-Kino
The Master (Ang Lee)
"In Hongkong werden so viele schnelle Filme mit raschem Rhythmus gedreht, weil die Menschen in einer kleinen, übervölkerten Stadt leben, in der es so viel nervöse Energie gibt, wie sonst nirgendwo auf der Welt" (Tsui Hark) Unter "Hongkong-Kino" konnte man sich in Deutschland noch bis weit in die 80er Jahre eigentlich nur "Kung fu-Filme" vorstellen. Das lag vor allem an Superstar Bruce Lee, der mit nur wenigen Filmen – die man in den 70er Jahren in Deutschland noch gern "Eastern" nannte – das Kino der britischen Kronkolonie in ganz Asien, in Europa und in Amerika populär machte.
Kontinuität von Anfang an
Bereits 1896 wurden in Hongkong erste Filme gedreht, eine richtige Filmproduktion entstand etwa 15 Jahre später. Neben Shanghai wurde die Kronkolonie schnell zur wichtigsten Filmmetropole in China. Hongkong profitierte dabei vor allem von den politischen Umwälzungen im Mutterland. Zunächst waren es linksgerichtete Filmschaffende, die Hongkong als Fluchtburg für ihre Arbeit nutzten, nach der Revolution von ‘49 dann eher kommerziell orientierte Produzenten und Regisseure.
Hollywood ebenbürtig
In den 50er Jahren entstanden einige der heute noch existierenden großen Produktionsfirmen, die die britische Enklave zu dem machten, was sie bis heute ist: die größte Produktionsstätte der Welt nach Hollywood, Indien und Japan. Dabei kam dem kleinen Hongkong der riesige und profitable Absatzmarkt Ost- und Südostasiens zugute sowie die Millionen Auslandschinesen in aller Welt. Heute werden in Hongkong zwischen 150 und 200 Filme pro Jahr gedreht. Die Stadt ist damit eine der ganz wenigen autarken Filmregionen der Welt, die sich gegen Hollywood behauptet.
Shanghai Noon (Tom Dey; Kinostart: 19.10.2000, Constantin)
Dauerhafter Erfolg
Genrefilme legten das breite Fundament des kommerziellen Erfolges: Komödien, Melodramen, Historien- und Kostümfilme, Variationen auf die Beijing-Oper und natürlich Kampfsportfilme aller Art. Der Erfolg der Martial-Arts-Filme sorgte für den endgültigen Durchbruch, auch wenn sich dieser weltweit eher in den Videotheken als in den Kinos niederschlug, wobei Pistolen und Gewehre nach und nach Schwerter und Fäuste ersetzten. Gleichzeitig brachten die beiden vergangenen Jahrzehnte auch den Durchbruch für den "Autorenfilm" Hongkong-chinesischer Prägung. Eine Hand voll Regisseure sorgt inzwischen dafür, dass der ehemalige Stadtstaat dauerhaft auf den großen Festivals und den Filmkunstkinos der Welt vertreten ist.
Chunking Express (Wong Kar Wei)
Kommerzielle Höhenflüge ...
Die fantasiereichsten Kommerzfilmregisseure erfreuen sich insbesondere auch in Westeuropa einer großen Fangemeinde. Tsui Hark (Peking Opera Blues) gilt vielen als Erneuerer des traditionellen chinesischen Kampffilms. Er verbindet in seinen Arbeiten verschiedene Genreelemente zu einem unterhaltsamen Mix, in dem Action, Akrobatik und eine rasante Choreografie unabhängig von der jeweiligen Geschichte eine eigene Bedeutung erhalten. Seine Protagonisten verlieren im wahrsten Sinne des Wortes jede Bodenhaftung, die Elemente der Schwerkraft verlieren ihre Gültigkeit. Der inzwischen in Hollywood (M:I-2) arbeitende John Woo ist der derzeit wohl erfolgreichste Hongkong-Film-Import (neben Schauspielerstars wie Jackie Chan und Chow Yun Fat). Woo verdiente sich seine Meriten mit harten und blutigen Polizei- und Gangsterfilmen (Hard Boiled) – aus rein formaler Sicht Meisterwerke ihres Genres. Diese beeinflussten auch eine ganze Reihe jüngerer Hollywoodregisseure wie z. B. Quentin Tarantino.
... und anspruchsvolles Autorenkino
Für eine ganz andere Richtung stehen Filmemacher wie Ann Hui, Allen Fong, Stanley Kwan und Alex Law. Ihre Werke kann man durchaus mit klassischen europäischen Autorenfilmen vergleichen. Tiefgreifende Familienkonflikte vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels zwischen Tradition und Moderne ist das am häufigsten aufgegriffene Thema – übrigens schon vor der Rückkehr der Kronkolonie zu China. Der außerhalb seiner Heimat inzwischen besonders geschätzte Regisseur einer nachwachsenden Generation ist aber Wong Kar Wai, der in seinen Filmen (Chungking Express) mit traumwandlerischer Sicherheit Elemente des Unterhaltungskinos mit anspruchsvollen Fragestellungen verbindet. Wong Kar Wai ist der – zumindest aus westlicher Sicht – interessanteste junge Regisseur aus Hongkong und für viele der letzte Beweis, dass Hongkong inzwischen einen festen Platz auf der Weltkarte der Kinematografie einnimmt.
Autor/in: Joachim Kürten, 21.09.2006