Hintergrund
Drogenmissbrauch und Prävention
Der Missbrauch von Alkohol, Medikamenten, Nikotin und illegalen Drogen ist in Europa in den vergangenen Jahren trotz aller Programme der Krankenkassen und Gesundheitsbehörden ausgeufert. Er bedeutet für die europäische Gemeinschaft auch eine enorme finanzielle Belastung. Neben den in Deutschland inzwischen fast schon unter den Teppich gekehrten Alkohol- und Medikamentenabhängigen (3 Mio.) und den suchtkranken Abhängigen von harten illegalen Drogen (deren Zahl auf mind. 100.000 geschätzt wird), kommt eine enorme Welle von Ecstasy- und Crackkonsumenten auf uns zu. Von der Zentralstelle für Suchtgefahren in Hamm etwa wird die Zahl der Ecstasykonsumenten auf zwei Millionen geschätzt. Die Dunkelzimmer im Suchtbereich liegt sehr hoch. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland etwa acht Millionen abhängige Menschen und Suchtkranke, das entspricht etwa 10% der Bevölkerung. Etwa ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. Nur ein verschwindend kleiner Teil der gesamtdeutschen Bevölkerung lebt abstinent von allen Rauschmitteln (ca. 5%).
Definitionssache
Unter Sucht, Drogenabhängigkeit oder Missbrauch eines Mittels versteht allerdings jeder etwas anderes. Die Theorien und wissenschaftlichen Forschungsbefunde zu diesen Themen sind oft widersprüchlich. Bis heute gibt es keine unumstrittenen Thesen und Ergebnisse darüber, wie Sucht entsteht und wie sie zu heilen sei. Jeder Mensch, der regelmäßig etwas zu sich nimmt, woraus dann eine Gewohnheit wird, ist im Volksmund abhängig. RaucherInnen sind offensichtlich süchtig und auch der tägliche Kaffee- oder Alkoholgenuss deutet auf Abhängigkeit hin. Substanzen wie Nikotin, Koffein oder Alkohol beinhalten Suchtpotenziale und wirken bei hoher Dosierung direkt oder indirekt tödlich. Manchmal verrät die Begriffsverwirrung auch nur den Grad der Verleugnung des eigenen Suchtverhaltens. Über die Einteilung in Rauschgifte und Genussgifte hat es immer wieder Streit zwischen Hedonisten und Moralisten gegeben. In unterschiedlichen Kulturen und Ländern wird unterschiedlich mit Heil- und Rauschmitteln umgegangen. Dabei ist naturwissenschaftlich ohne jeden Zweifel belegt, dass jedes dieser Mittel bei entsprechend hoher oder kombinierter Dosierung zum Rausch führt und darüber hinaus bei besonderer Applikationsform zum tödlichen Gift werden kann.
Weiche und harte Drogen
Die Einteilung in "weiche und harte Drogen" ist letzten Endes beliebig und wird nur mit scheinbar wissenschaftlichen Argumenten geführt. Natürlich ist das Ausmaß der Abhängigkeit, die Suchtstoffe mit sich bringen, von Stoff zur Stoff unterschiedlich. Dabei ist das Abhängigkeitspotenzial stets auf zwei Ebenen zu bewerten: die physische Abhängigkeit, die sich mehr oder minder schnell im Organismus einstellen kann und die psychische Abhängigkeit, die bei angelegter Suchtstruktur den Konsumenten vom Probieren zur Gewohnheit und von da aus in die Abhängigkeit führt. Das Suchtpotenzial von Haschisch z. B. ist zwar auf der körperlichen Ebene relativ gering, dafür aber mit einer langsam wachsenden psychischen Abhängigkeit verbunden. Insgesamt gesehen gibt es keine Rauschmittel, die gesund sind, bei regelmäßigem Gebrauch lösen sie alle Krankheit(en) aus.
Legale und illegale Drogen
Über die Einteilung in legale oder illegale Drogen – sprich gesellschaftlich tolerierte und nicht tolerierte – und ihre Vereinbarkeit mit juristischen Normen lässt sich gut streiten. Es gibt bis heute keine Regelung auf der Welt, die logisch wissenschaftlich und sozial-politisch halt- und durchsetzbar wäre. Zu den beliebten Spielen oder der politischen Taktik von Anhängern, Konsumenten und ratlosen Amtsträgern in den verschiedensten Gruppierungen gehört es, mal die eine, mal die andere Drogensorte als weich oder gesünder und die dazugehörenden Konsummuster als harmlos zu bezeichnen. Doch eigentlich müsste es bei jeder "Drogendebatte" um die weitere Einschränkung und um Prävention gehen, insbesondere wenn Kinder und Jugendliche davon betroffen sind. Es gibt keine Droge, die bei regelmäßigem Konsum nicht zu einer psychischen Abhängigkeit mit milderem oder strengerem Verlauf führt. Die entscheidenden Unterschiede zwischen einzelnen Drogenwirkungen sind auf der physischen und sozialen Ebene zu finden.
Szene aus dem Film "Traffic"
Kultur- und Modeerscheinungen
Die konsumierenden Jugendlichen werden nicht selten zur Mode gemacht von einer boomenden Freizeitindustrie, insbesondere wenn es um Nikotin und Alkohol geht oder um die Koppelung von Jugendkulturen an Vorstellungen von Freiheit, Selbsterfahrung und Lebensgenuss. Funktionell werden sie für die unterschiedlichsten Zwecke missbraucht, für Liberalisierungstendenzen genauso wie für verschärfte Strafmaßnahmen bei der Bekämpfung der Beschaffungskriminalität. Es ist wichtig – gerade unter den unterschiedlichen Kultur- und Modeeinflüssen sowie unter präventivem und therapeutischem Aspekt – zwischen dem Probierer und Gelegenheitskonsumenten, der den Konsum in seinen Lebensstil und sein Lebenskonzept einpassen kann, und dem Abhängigen bzw. Dauerkonsumenten, der umgekehrt seinen Lebensstil und sein Lebenskonzept immer mehr dem Konsum anpassen muss, zu unterscheiden. Aus dieser Differenzierung darf jedoch keine Bagatellisierung entstehen, erst recht nicht bei Kindern und Jugendlichen.
Ursachen der Drogenabhängigkeit
Drogenkonsum entsteht aus einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die in unterschiedlicher Weise voneinander abhängen und sich gegenseitig bedingen. Die verschiedenen Einzelmerkmale der Entwicklung zur Drogenabhängigkeit werden im Rahmen eines theoretischen Modells in die drei Faktoren "Droge", "Persönlichkeit des Konsumenten" und "gesellschaftliches Umfeld" zusammengefasst. Eine umfassende historische Aufarbeitung der politisch-ökonomischen Geschichte der Drogen ist bisher ungeschrieben, die sicher auch unbequeme Ergebnisse zutage fördern würde. Das psycho-soziale Erklärungsmodell geht von der Persönlichkeit als aktivem Teil der Ursachen-Trias Droge – Persönlichkeit – Gesellschaft aus. Hier wird der Mensch als Ganzheit betrachtet und Maßnahmen müssen auf allen Ebenen eingeleitet werden. Dennoch ist das vorrangige Ziel nicht Befreiung und Emanzipation, sondern die Anpassungsleistung an Umweltbedingungen. Das sozio-kulturelle Erklärungsmodell hebt die Bedeutung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen bei den Ursachen besonders hervor und geht davon aus, dass die Probleme der Konsumenten erst durch die gesellschaftliche Struktur entstehen. Abweichendes Verhalten wird als Reaktion auf Störungen verstanden, die ihre Ursachen in der gesellschaftlichen Entwicklung haben. Statt aber die Ursachen zu beheben, dreht sich die Diskussion eher um Drogen-Legalisierung, Akzeptanz und Integration.
Szene aus dem Film "Traffic"
Sinnvolle Prävention
Ziel jeder Prävention, ob primär, sekundär oder tertiär, muss es sein, die Sozialisations- und Lebensbedingungen insbesondere von Kindern und Jugendlichen sowie die daran beteiligten Institutionen und sozialen Systeme zu erforschen, zu begleiten und diese an bestimmten Punkten so zu verändern, dass auslösende und verstärkende Prozesse und Faktoren möglichst aller Störungen und Behinderungen (auch Krankheit und Tod) beseitigt oder in ihrer Auswirkung gering gehalten werden. Es geht um die Schaffung und Erhaltung von fördernden Lebensbedingungen. Polizei, Zoll und Strafjustiz konzentrieren sich dagegen mehr auf die Bekämpfung des Großhandels und der Einfuhr illegaler Drogen und weniger auf die suchtkranken Konsumenten. In erster Linie geht es aber um Probleme menschlichen Verhaltens, die entsprechend vielfältige und differenzierte Maßnahmen verlangen. Vorrangig müssen die therapeutischen Maßnahmen verstärkt werden (abstinente genauso wie akzeptierende), ist mit großer Vorsicht eine Entkriminalisierung der Konsumenten in die Rechtspraxis einzuführen. Sucht ist nicht nur eine Erkrankung der Person insgesamt, sondern der Person in und mit ihrem Netzwerk. Es gibt keine Person ohne Umwelt, ohne Gemeinschaft in der sie lebt. Da diese jeweilige Gesellschaft in der Person abgebildet wird, ist Sucht nicht nur eine persönliche, sondern immer auch eine gesellschaftliche Krankheit.
Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Die meisten von Sucht betroffenen Kinder und Jugendlichen stammen aus problembeladenen Familien, die sich trotz der Zugehörigkeit zu verschiedensten sozialen Schichten durch emotionale Isolation und gescheiterte Sozialisationsprozesse auszeichnen. Zunächst in den Ursprungsfamilien, dann aber auch in Folgebeziehungen, Schulen und Ausbildungen erleben sie durch traumatische negative Erfahrungen schon im Kindesalter falsche Ideale und Perspektivlosigkeit. Junge Menschen im Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein sind auf der Suche nach ihrer persönlichen Identität. Dabei ist es für den Großteil dieser Jugendlichen von größter Bedeutung, dass sie als soziale Wesen Beachtung finden und nicht (einfach) übersehen werden. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, stiften sie häufig Unheil und sorgen für negative Aufmerksamkeit. Auf die vielschichtigen Probleme, die sie in dieser Phase zu bewältigen haben, sind die meisten Jugendlichen nur unzureichend vorbereitet. Über die Notwendigkeit und die Forderung nach der Entwicklung spezifischer und breitgefächerter Behandlungsangebote für diese Kinder und Heranwachsenden besteht unter Fachleuten schon seit Beginn der 80er Jahre Einigkeit. Therapie ist nicht Reparatur, sondern ein Prozess der Entwicklung und Emanzipation. Daher sollten Angebote, die ein Nachreifen ermöglichen, nicht verkürzt und abgemagert, sondern zeitlich und finanziell gestärkt werden. Und Erwachsene müssten Werte und Normen gerade im Bereich der sozialen Mitverantwortung vermitteln, wodurch ein Nachreifen erst möglich wird.
Anhang:
Suchtstoffe, Rauschmittel
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Autor/in: Dipl.-Psych. Laszlo Andreas Pota (Psychologischer Psychotherapeut), 21.09.2006