Connie Walther erzählt eine Liebesgeschichte, die bis ins Detail hinein auf einer authentischer Begebenheit beruht, die sich im geteilten Berlin Anfang der 80er Jahre ereignet hat. Dabei bricht sie Klischees auf und erreicht so über den historischen Stoff hinaus unmittelbar heutige Gefühle und Stimmungen vieler Jugendlicher. Vor der Folie der Historie werden Fragen nach dem Lebenssinn und nach bestimmenden Werten in ganz aktuelle Zusammenhänge gestellt.
Der unbekannte Osten
Die 17-jährige Nele lebt in Westberlin in einer Gesellschaft, in der zwar alles möglich scheint, in der aber saturierte Behäbigkeit jegliche Spannung wie unter einem Wattebausch dämpft. Selbst die Mauer um die Stadt herum wird hier nicht mehr wahrgenommen. Eines Tages führt die Nachricht vom Tod der unbekannten Oma das Mädchen in die östliche Stadthälfte. Vieles erscheint hier anders als in ihren bisherigen Vorstellungen festgeschrieben. Völlig überrascht trifft sie auf eine Gruppe Punks, die auf einem Rummel zu harter Musik Pogo tanzen. Plötzlich steht Captain, der Anführer der Gruppe, vor ihr. Ganz sanft schaut ihr der Junge, der sich gerade noch so martialisch gegeben hatte, in die Augen. Was eben noch Neugier war, ist plötzlich Sehnsucht.
Deutsch-deutsche Liebe ohne Chance?
Doch die beginnende Liebe scheint unter den gegebenen politischen Umständen keine Chance zu haben. Die Ostberliner-Punks, die von einem selbstbestimmten Leben träumen und westliche Musik-Ikonen wie "Sid Vicious und "Dead Kennedy" verehren, geraten in das Blickfeld der Staatssicherheit. Nele schmuggelt als Grenzgängerin Bild- und Tonmaterial für die Gruppe in den Westen. Damit gerät auch sie in den Sog staatlicher Überwachung und Verfolgung. Man weist sie auf Dauer aus und Captain wird verhaftet. Als Jahre später die Mauer fällt, macht sich Nele auf den Weg, um ihren Captain zu suchen. Sie findet ihn fernab von aller Dynamik des neuen Zeitgeistes auf einem Hof irgendwo auf dem Lande. Keiner von beiden fragt, was der andere inzwischen gemacht hat. Sie liegen sich in den Armen und genießen es, dass ihre Liebe allen äußeren Widerständen zum Trotz stand gehalten hat.
Verweigerungshaltungen
Der Film vermittelt ein äußerst genaues Zeitkolorit der 80er Jahre an der unmittelbaren Schnittstelle des damals politisch geteilten Europas. Die Probleme werden emotional über die Liebesgeschichte zugespitzt und damit aus dem klischeehaft besetzten Rahmen vieler Zeitdokumentationen herausgehoben. Captain und seine Freunde gehören zu jener Generation Jugendlicher in den letzten Jahren der DDR, die sich im positiven wie im negativen Sinne den gängigen politischen Denkrastern verweigern. Sie beanspruchen für sich individuelle Freiheiten jenseits der bekannten Muster der Systemkonformität. Mit ihrem Desinteresse am System provozieren sie die Staatsmacht. Die spürt zwar, dass hier Prozesse ihrer Kontrolle entgleiten, sie reagiert darauf aber eher hilflos, weil das altbekannte Freund-Feind-Muster nicht mehr funktioniert.
Vernichtung von Kreativität
Für die Betroffenen ist das Handeln der Machthaber deshalb aber nicht weniger bedrohlich. Im Gegenteil, der Restriktionsapparat wirkt wegen der offensichtlichen Überzogenheit seiner Handlungen besonders schmerzhaft. Das macht der Film über die Bildästhetik eindringlich deutlich. Präzise und brutal setzt sich ein übermächtiger Apparat zur Vernichtung von Kreativität in Bewegung. Anders als etwa bei
Helden wie wir gibt es dabei nichts Lächerliches. Die Punks werden erpresst, gegeneinander ausgespielt und verängstigt. Besonders schmerzhaft ist es, wenn Captains Vater als kleinbürgerlich verängstigter Parteigänger des Systems nicht nur die Liebe der Kinder verrät, sondern schließlich sogar seinen Sohn verstößt. Doch auch die andere Seite wird als in den Klischees der Systemauseinandersetzung verhaftet gezeigt. In einem Bericht des Westfernsehens gibt es kein Interesse an den Visionen und Wünschen der Ost-Punker. Indem man das Land, in dem sie leben, denunzieren will, missachtet man ihre individuellen Persönlichkeiten und reduziert sie zu Säufern und Jungnazis.
Brückenschlag in die Gegenwart
Jenseits dieser verkrusteten Strukturen entwickelt sich die Liebe von Nele und Captain. Hier spüren sie Gemeinsamkeiten, aus denen sie Kraft schöpfen, um das, was sie einengt zu durchbrechen. Mit der klaren Absage an alte, ideologisch gebundene Denkmuster und Lebensmodelle auf beiden Seiten schlägt der Film eine Brücke in die Jetztzeit und bricht auf der Gefühlsebene und über die Musik Barrieren auf, die sich in den Köpfen vieler Menschen gebildet haben. Sowohl der einstige Ostler Captain als auch das Mädchen aus dem früheren Westen sehen in der Möglichkeit eines auf Liebe basierenden, privaten Glücks eine Daseinsalternative. Ganz unaufgeregt, indem sich die Protagonisten auf ihre Gefühle verlassen, wird frühere politisch bedingte Trennung unwichtig. Der fast ausschließlich auf historischen Momenten basierende Film gewinnt so eine ganz aktuelle Brisanz.
Autor/in: Klaus-Dieter Felsmann, 01.06.2001