Er zählt wohl zu den konsequentesten, weil politischsten Filmemachern Italiens und er ist durch Erfolge wie Caro Diario/Liebes Tagebuch (1993) oder Aprile (1998) einem internationalen Publikum bekannt: Nanni Moretti (Jg. 1953). Mit seiner 1987 gegründeten Firma Sacher Film produziert er seine Filme selbst, zumeist in Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender RAI. Er ist auch sein eigener Produzent, der Regisseur, Autor und Schauspieler Moretti. Arbeiten in völliger Autonomie, bei seinen Low-budget-Projekten ist das noch immer möglich.
Nun legt er mit
Das Zimmer meines Sohnes seinen jüngsten Film vor, der bereits im Mai 2001 auf den Internationalen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Erzählt wird die tragische Geschichte von Eltern, die plötzlich ihren Sohn verlieren und mit diesem Verlust nicht umgehen können, sich einander entfremden. Dieser Film ist ein sensibles, bewegendes Meisterwerk, zeigt aber auch eine neue, ungewöhnliche Seite dieses autonomen Autorenfilmers. Denn bisher war es das offensichtlich Politische, das Moretti beschäftigte, das er bisweilen scharf unter die filmische Lupe nahm. Der in Rom aufgewachsene Regisseur, der seit Mitte der 70er Jahre engagierte Filme dreht und bereits 1981 seinen ersten Goldenen Löwen in Venedig erhielt (
Goldene Träume), hat 1990 sogar einen Dokumentarfilm über die Kommunistische Partei "La Cosa" gedreht. Moretti, daraus macht er keinerlei Hehl, ist wirklich kein Sympathisant des nun regierenden Medienzaren Silvio Berlusconi: "Als Staatsbürger bin ich natürlich angesichts Berlusconi untröstlich. Aber nicht immer kann ich das, was ich als Staatsbürger empfinde, in einem Film umsetzen. Es geht vor allem darum, einen neuen Blick für das zu finden, was in Italien passiert ist. Und ich denke, dass Berlusconi kein staatsmännisches Gefühl hat. Als Regierungschef erlässt er Gesetze, die nur ihm selbst zugute kommen. Ich denke, er ist nicht einmal ein Gegner der Demokratie, sondern Demokratie ist für ihn etwas Fremdes, etwas, was er eben einfach nicht versteht."
In aller Konsequenz hat Moretti seine Filme kreiert und gerade seine letzten beiden, die durchaus miteinander in Zusammenhang stehen, Caro Diario und Aprile, verknüpfen das private mit dem politischen Moment. Ganz ähnlich wie die deutsche Autorenfilmerin Margarethe von Trotta (Die bleierne Zeit), die etliche Jahre in Rom lebte und dort etwa den Mafia-Film Il lungo silenzio/Zeit des Zorns (1993) drehte, gibt es für Moretti keine Zäsur zwischen Privatem und Politischem, sind im Gegenteil die Grenzen fließend, bedingen sich beide Bereiche einander: "Es gibt natürlich auch andere Regisseure in Italien, die durchaus offen ihre Meinung sagen. Nur ist es eine Sache, seine Meinung zu sagen, und eine andere, dann dazu auch Filme zu machen. Vielleicht muss man für den politischen Film auch einfach eine neue Ausdrucksweise finden." Das war und ist eines seiner zentralen Themen und er wird sie weiter behandeln und damit auch seine Heimat dem Ausland filmisch näher bringen. Es gibt nur wenige Filmemacher dieser Art, dieser Konsequenz. Nanni Moretti ist einer von ihnen.