Hintergrund
Jüdische Emigration im Dritten Reich
Die nationalsozialistische Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 und der unmittelbar folgende Judenboykott lösten eine lang anhaltende Fluchtbewegung aus. Sie führte vergleichsweise selten nach Afrika. Zunächst lag der Ideologie des nationalsozialistischen Regimes und dem damit verbundenen Terror die Strategie zu Grunde, die Juden durch den Ausschluss von öffentlichen Ämtern, Eheverbot und staatsbürgerliche Diskriminierung aus Deutschland zu vertreiben. Zugleich wurden Hab und Gut der Juden konfisziert und damit die materiellen Voraussetzungen für eine Auswanderung untergraben. Dennoch konnten bis Ende 1938 etwa eine halbe Million Menschen emigrieren.
Mehrere Auswanderungsschübe
Das Ausmaß der Auswanderungsschübe wechselte mit der Intensität der antisemitischen NS-Politik. 1933, unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers, verließen 37-38.000 Juden Deutschland. In den Folgejahren bis 1937 waren es jährlich zwischen 20.000 und 25.000 Juden, mit steigender Tendenz nach der jüdischen Entrechtung durch die Nürnberger Gesetze und den Pogromen der "Reichskristallnacht". Ihren Höhepunkt erreichte die Fluchtbewegung im Jahre 1939 mit bis zu 80.000 Auswanderungen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dem Erlass eines Auswanderungsverbotes wurde es immer schwieriger, Deutschland zu verlassen. Im Zuge der Deportationen in die Vernichtungslager gelang es zwischen 1942 und 1945 nur noch 8.500 Juden, aus Deutschland zu fliehen.
Warum sind nicht noch mehr geflohen?
Die Juden waren emotional und geistig in Deutschland eingebunden. Das erschwerte ihnen die mehrheitliche und rechtzeitige Flucht. Weitere Gründe lagen in ihrer systematischen ökonomischen Auszehrung durch den Nationalsozialismus und den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in den potenziellen Aufnahmeländern. Angesichts der Weltwirtschaftskrise zeigte kein Land Interesse an mittellosen Immigranten, die in der Mehrzahl auf soziale Unterstützung angewiesen waren. Viele Emigranten durften nur dann einreisen, wenn sie eine Bürgschaft (von Verwandten oder einer Hilfsorganisation) vorweisen konnten. Im Jahre 1938 initiierte Roosevelt zwar eine internationale Konferenz über die Probleme der Judenemigration aus Deutschland. Doch nur wenige Staaten sicherten zu, bestehende Einwanderungsquoten voll auszuschöpfen.
Europäische Nachbarländer als Zuflucht
Ab 1933 boten sich den Juden zunächst die unmittelbaren Nachbarländer Deutschlands als Zuflucht an. Viele Emigranten hofften noch auf eine baldige Verbesserung der politischen Verhältnisse in Deutschland. Zu den Aufnahmeländern zählten Frankreich, die Niederlande, die Tschechoslowakei, das vom Völkerbund verwaltete Saarland sowie Belgien, Luxemburg, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz. Weitere Aufnahmeländer waren Spanien vor dem Beginn des Bürgerkriegs und – gegen Ende des Jahrzehnts – Großbritannien. In die Sowjetunion flohen vorwiegend kommunistische Flüchtlinge. Kleinere Gruppen von Emigranten fanden vorübergehend in Italien, Polen, Ungarn, Jugoslawien und Portugal Aufnahme. Erwähnenswert sind noch einige Länder, die als Transitwege oder für befristete Aufenthalte in Frage kamen: insbesondere die Balkanländer, Griechenland und die baltischen Staaten. Wichtigstes jüdisches Einwanderungsland war natürlich Palästina, das sich als britisches Mandatsgebiet gegenüber der deutsch-jüdischen Einwanderung allerdings restriktiv verhielt und Quoten verhängte.
Außereuropäische Länder
Als sich die europäischen Länder der zunehmenden jüdischen Emigration nicht mehr gewachsen sahen, waren die Vereinigten Staaten von Amerika trotz verschärfter Einwanderungsbestimmungen bereit, 130.000 Emigranten aufzunehmen. Internationale Unterstützung fand die Emigration von 75-80.000 Flüchtlingen nach Lateinamerika, insbesondere Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay. Andere lateinamerikanische Staaten dienten meist als Wartestation für die Einwanderung in die USA. Auch in der Türkei, in Südafrika, Australien und Neuseeland sind kleinere Kontingente von Flüchtlingen zu belegen, während die Protektorate, Kolonial- und Mandatsgebiete in Afrika, Asien und der Karibik als Emigrationsziel weitgehend verschlossen blieben.
Auswanderungsland Afrika
Die vorhandenen Quellen trennen statistisch nicht immer eindeutig zwischen spezifisch jüdischer und allgemein deutschsprachiger Emigration. So war z. B. die Südafrikanische Union durchaus ein Fluchtziel deutschsprachiger Emigranten, deren jüdischer Anteil durch die Forschung aber nicht belegt ist. Nachteilig für die Aufnahme deutsch-jüdischer Emigranten in Südafrika war u. a. der hohe Anteil jiddischer Einwanderer aus dem orthodoxen zaristischen Russland. Diese standen in einem kulturellen Gegensatz zu den assimilierten Juden aus Deutschland. Auch die übrigen Teile des afrikanischen Kontinents zeigen, dass die Emigration oft von den politischen Rahmenbedingungen bestimmt wurde. Selbst formell unabhängige Staaten wie Ägypten, Südafrika, Liberia und Äthiopien waren politisch Großbritannien bzw. den USA verpflichtet. Die Haltung der europäischen Kolonialmächte erschwerte den internationalen Hilfsorganisationen oft die Ansiedlung von Einwanderern. So verweigerte Großbritannien offiziell die Zulassung größerer Kontingente jüdischer Emigranten in Madagaskar und Kenia, obwohl diese bereits als Aufnahmeländer im Blickpunkt internationaler Diskussion standen. Manchmal entschieden die Kolonialverwaltungen dennoch, die Einreise zu erlauben: In Kenia konnten sich 600 Flüchtlinge niederlassen. Quelle zu Fakten und Zahlenangaben: Claus-Dieter Krohn, Patrick von zur Mühlen, Gerhard Paul (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, Darmstadt 1998
Autor/in: Hans Svoboda (punctum, Bonn), 21.09.2006