Eine Farm im Nordosten Kenias im Jahre 1938. Die aus Deutschland von den Nazis vertriebene Jüdin Jettel Redlich steht vor der unscheinbaren Wellblechfarm ihres Mannes. Jettel ist mit ihrer Tochter Regina gerade aus Deutschland gekommen. Ihr Mann Walter lebt bereits seit einigen Monaten in Kenia und betreibt für einen Engländer einen kleinen, armseligen Hof. Auf Jettels Gesichtszügen spiegeln sich Faszination und Verzweiflung. Unsicher blickt sie auf ihre neue Heimat, in die unendliche Weite der afrikanischen Landschaft, die karg und staubig, aber auch lichtdurchflutet und voller Farben vor ihr liegt.
Entwurzelung
"Es ist wunderschön, aber hier können wir doch nicht bleiben!" – Jettels erste Reaktion fasst schon zusammen, wie sich das Schicksal ihrer Familie von nun an gestalten wird. Hin- und hergerissen zwischen Erleichterung über die gelungene Flucht und den vielfältigen Anpassungsschwierigkeiten in der neuen Heimat muss der Familienverbund zahllose Konflikte bestehen. Caroline Link setzt damit – ganz am Anfang ihres Films – schon ein deutliches Zeichen für die Genreausrichtung:
Nirgendwo in Afrika ist einerseits ein melodramatischer Afrikafilm vor beeindruckend schöner Naturkulisse, erzählt andererseits aber auch eine Geschichte über Exil, Vertreibung und Heimatlosigkeit.
Unfreiwilliges Exil
Caroline Link gelingt es, gleich mehrere Erzähl- und Handlungsstränge überzeugend miteinander zu verknüpfen. Die Bedrohung in der Heimat Deutschland wird im Prolog des Films mit kurzen, knappen Strichen gezeichnet. Die erste Sequenz, die noch in Deutschland spielt, zeigt Jettel und Regina beim ausgelassenen Spiel im Schnee. Jettel rutscht aus, die ihr zur Hilfe hingestreckte Hand schlägt sie aus. Die Kamera zieht auf, der kurz geschorene Kopf eines Jungen aus der Hitlerjugend wird sichtbar und verdeutlicht, warum Jettel auf die Hilfe verzichtet.
Zwei Welten
Die Ereignisse in der Heimat bleiben präsent – auch wenn der Film auf Bilder aus dem nationalsozialistischen Deutschland verzichtet. Die spärlichen Briefe, die hin und wieder empfangenen Radionachrichten oder die Neuigkeiten aus dem Munde befreundeter Deutscher und Engländer sorgen dafür, dass – trotz aller Probleme vor Ort in Afrika – der Schrecken in Deutschland nicht vergessen wird. Ein Übriges leisten die britischen Kolonialherren in Kenia, indem sie 1939 nach Kriegsausbruch vorübergehend alle deutschen Emigranten einschließlich der Juden internieren.
Anpassung
Den Schwerpunkt der Handlung hat Caroline Link freilich auf das Leben der Familie Redlich in der neuen Heimat gelegt. Die unterschiedlichen Konzepte, mit denen Walter, Jettel und Regina auf die ungewohnten Lebensverhältnisse eingehen, werden sensibel nachgezeichnet. Was hat der schon länger im Land lebende Walter Jettel voraus? Wie passt sich die kleine Regina der neuen Umgebung an? Und warum hat Jettel die größten Anpassungsschwierigkeiten?
(Un-)Voreingenommenheiten
Auf all diese Fragen gibt Caroline Link schlüssige Antworten – schlüssig vor allem, weil sie es verstanden hat, das Verhalten ihrer Filmfiguren psychologisch glaubwürdig erscheinen zu lassen: Die scheinbare Gelassenheit, die der Jurist Walter an den Tag legt, die aber – wie sich am Ende des Films herausstellt – nur oberflächlicher Natur ist. Die unvoreingenommene Art Reginas, die mit kindlicher Neugier und ohne Vorurteile an Menschen und Natur herangeht. Und schließlich – im Mittelpunkt des Films – das ängstliche und zum Teil bornierte Verhalten Jettels, die aus wohlhabenden und gut behüteten, europäischen Lebensumständen mit Armut und – aus westlicher Sicht – primitiven sozialen Verhältnissen umgehen muss.
Begegnung mit dem Fremden
Link widmet sich in ihrer geschickt austarierten Filmerzählung sowohl den innerfamiliären Spannungen als auch den interkulturellen Brüchen. Selbst die Begegnung mit den schwarzen Einwohnern vor Ort läuft bei den Familienmitgliedern jeweils unterschiedlich ab: Walter behandelt sie respektvoll und korrekt, aber auch distanziert, Jettel zunächst arrogant, nach einem längeren Annäherungsprozess aber liebevoll und zuvorkommend, Regina offenherzig und unvoreingenommen.
Die eigene Handschrift
Mit
Nirgendwo in Afrika ist Caroline Link erneut ein kraftvolles Melodrama gelungen, dass durchaus in der Tradition ihrer früheren Werke steht. Wie in
Jenseits der Stille und
Pünktchen und Anton steht der Familienverbund im Zentrum des Films. Familiäre Konflikte treiben die Handlung voran. Caroline Links stupendes Talent, kraftvolle melodramatische und poetische Sequenzen zu entwickeln, ohne dabei in Sentimentalität oder gar Kitsch abzugleiten, wird erneut sichtbar. Hinzu kommen ihr sicheres Gespür für den Umgang mit Schauspielern und der perfekte Einsatz der filmtechnischen Mittel. Als Vorteil dürften sich auch die starken Veränderungen zur literarischen und mehr zur Verklärung neigenden Buchvorlage Stefanie Zweigs ausgewirkt haben. "Ein Kammerspiel vor afrikanischer Kulisse" habe sie machen wollen – Caroline Link hat sich diesen Wunsch mit
Nirgendwo in Afrika erfüllt.
Autor/in: Jochen Kürten, 01.01.2002