Weinende Frauen bei der Entdeckung eines Massengrabes, ein Kind ohne Beine, Leichenberge, bis aufs Skelett abgemagerte Opfer einer Hungersnot – immer ist James Nachtwey mit seiner Kamera ganz dicht dran . "Krieg setzt Regeln außer Kraft", sagt der Fotograf, "was im normalen Leben unmöglich wäre, geht plötzlich. Deshalb kann ich fotografieren; die Leute spüren, dass sie durch meine Fotos eine Stimme kriegen."
Ein Doppelportrait
Wir alle kennen Fotos von James Nachtwey: Bilder aus den Krisengebieten der Welt, die hier zu Lande etwa im "Stern" oder in "Geo" veröffentlicht werden. Krieg und die Folgen, Armut, Unrecht sind die Themen, die den Amerikaner besonders interessieren. Den Schweizer Dokumentaristen Christian Frei wiederum interessierte die Arbeit eines Kriegsfotografen. Und so hat er James Nachtwey zwei Jahre lang begleitet – auf den Balkan, nach Palästina, nach Indonesien – und ihn bei seiner Arbeit gefilmt. Die Reportagepassagen werden durch Interviews mit Auftraggebern, Kollegen und Bekannten des Protagonisten ergänzt. Das selbst gedrehte Material hat er schließlich mit Fotografien Nachtweys und Archivmaterial montiert. Entstanden ist dabei eine Art Doppelporträt: das der konkreten Person Nachtwey und das eines Berufsstandes, dessen Angehörige ausnahmslos von starken
déformations professionelles geprägt sind. Das wiederum liegt – zumindest zum Teil – am harten Konkurrenzkampf innerhalb der Medienbranche.
Der Protagonist als Kameramann
War Photographer ist streckenweise nur schwer zu ertragen, aber gerade darin liegt seine Stärke: Der Filmemacher hat, auch um nicht zusätzlich den Fotografen oder sich selbst zu gefährden, in besonders heiklen Situationen elektronische Mikrokameras an Nachtweys eigener Kamera befestigt. So drehte sich in solchen Momenten der Film quasi von selbst, ohne dass die Anwesenheit der Crew nötig war. Damit sieht und hört man, was der Fotograf sieht und hört – und sogar noch ein bisschen mehr: Der Protagonist ist teilweise im Bild, und auf der Tonspur sind auch die Geräusche verzeichnet, die er selbst produziert.
Der Ton zum Bild
Besonders eindrücklich wirkt sich das Verfahren an einem indonesischen Drehort aus: Nachtwey fotografiert, umhüllt von giftig-gelben Dämpfen, sich durch stollenartige Gänge mühsam vorwärts kämpfend, die notdürftig vermummten Arbeiter in einer Schwefelmine, während er ein Taschentuch vor seinen Mund presst. Der Drehort wirkt wie eine düstere Zukunftsvision in einem Science-Fiction-Film, die dort herrschenden Arbeitsbedingungen atavistisch, wie aus den ersten Tagen der Industrialisierung. Schemenhaft tauchen Gestalten mit Tragekörben aus den Dampfschwaden auf. Wenn sie hustend sprechen, sieht man ihre schadhaften Zähne und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Dämpfen und dem Zustand der Lungen und Gebisse der Arbeiter. Dann bekommt Nachtwey selbst einen Hustenanfall, würgt, schwankt. Man sieht, wie einer der Arbeiter auf ihn zukommt und ihn wegführt. Das Keuchen des Fotografen verstärkt die Wirkung der Filmbilder um ein Vielfaches; in Nachtweys Fotografien wird davon nichts mehr enthalten sein.
Motivationen eines Kriegsfotografen
Das Berufsethos und das Auftreten des Fotografen konterkarieren die spektakuläre Wirkung seiner Bilder: Er versteht sich als Aufklärer und Aufrüttler; ein in sich gekehrter, ausgezehrter, nur zögernd sprechender Mann, dessen Berufswahl durch die Reportagen aus dem Vietnamkrieg zustande kam, die, so Nachtwey, der offiziellen Darstellung der Ereignisse widersprachen und weltweiten Protest verursachten. Erst spät in diesem Film kommt der Fotograf selbst zu Wort, was seinem Zurücktreten hinter die Arbeit entspricht. Aber es ist fast schon zu spät, denn mit seiner Anwesenheit verdoppelt der Filmemacher den voyeuristischen Anteil der Fotografenarbeit. Wenn beispielsweise am Anfang des Films auf dem Balkan der Dokumentarist den Fotografen begleitet, der seinerseits einige Männer beim Ausheben eines Massengrabs beobachtet und später den weinenden Frauen buchstäblich auf den Leib rückt, dann stellt sich die Frage nach der Ausbeutung des Elends von allein – wäre Nachtweys Motivation nicht, wie man allerdings erst lange danach erfährt, über jeden Zweifel erhaben.
Das Mediengeschäft
Ganz beiläufig, aber umso schockierender, kommen die Gepflogenheiten des Mediengeschäfts zur Sprache: Die Anzeigenkunden der großen Magazine wollen lieber Prominente als Kriegsopfer, lieber Partyberichterstattung als Armutsreportagen. Deshalb ist Nachtweys Arbeit heute weniger gefragt als noch vor zehn Jahren. Verwunderlich ist das nicht.
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.07.2002