Eine Fahrt in die Nacht. Farben durchblitzen sie, kurze Lichter, Neonreklame vielleicht – Hoffnung ist es jedenfalls nicht, die mit ihnen aufleuchtet. Eher lassen sie das Gesicht von Hank Grotowski für einen Augenblick noch fahler und todgeweihter erscheinen . Sein Gesicht kommt uns bekannt vor, und wir meinen schon viel über ihn zu wissen, seine Ruhe deuten zu können, den leeren Blick seiner Augen. Es ist das Gesicht von Billy Bob Thornton, und er spielt diesen Hank als eine direkte Fortsetzung von Ed Crane, jenem stoischen Barbier, den er in
The Man who was not there, dem letzten Film der Coen-Brüder, verkörperte. Eigentlich war dieser Ed ein Scheintoter, und egal was er alles anstellte, es war gleich sinnlos. Am Ende landete er, wo er innerlich schon immer hingehörte – in der Todeszelle. Dort fängt es diesmal an, aber Ed, der jetzt Hank heißt, steht auf der anderen Seite. Hank Grotowski ist Henker.
Familienverhältnisse eines Henkers
Am Anfang wird Hank uns vorgeführt in seinen Familienverhältnissen, in Alabama in den US-Südstaaten. Es ist tatsächlich eine Vorführung, denn diese Verhältnisse sind so, dass sie selbst bei der reinen Präsentation noch denunzierend wirken. Wir lernen Hanks Familie kennen, oder das, was von ihr übriggeblieben ist. Denn seine Mutter und seine Ehefrau endeten beide durch Selbstmord, die Frauen haben es nicht ausgehalten in diesem Henkershaus, geblieben sind die Männer. Drei Generationen arbeiten im Todestrakt des Gefängnisses. Hanks Vater sitzt im Rollstuhl, aber auch die Krankheit hat ihn nicht demütig gemacht, noch immer ist er ein alter verstockter Rassist, der jeden Schwarzen in seinem Garten am liebsten sofort abknallen würde. Sonny, Hanks Sohn, geht zwar zur gleichen Prostituierten, wie sein Vater, ist aber doch letztlich das, was Hank "schwach" nennen würde. Diese privaten Verhältnisse sind so schrecklich, dass man bis zum Ende nicht weiß, ob man darüber weinen oder besser lachen soll. Denn
Monster's Ball hat einigen Humor und gar nicht "trotz allem". Er erinnert an den der Coen-Brüder, nur die Art, wie er vermittelt wird, ist anders.
Anklage gegen die Todesstrafe
Der Titel des Films bezieht sich auf die letzte Nacht eines zum Tode Verurteilten. Aber eigentlich, das wird schnell klar, sind hier alle Todgeweihte. Und manchmal ist auch das ganz normale Alltagsleben nur ein Warten auf die Hinrichtung. Aber ganz zu Beginn ist der Film des in den USA lebenden, in Deutschland geborenen Schweizers Marc Forster auch eine politische Anklage gegen die Todesstrafe. Man schaut Hank dem Henker eine Weile bei der Arbeit zu. Ganz präzis verfolgt man die letzten Stunden des zum Tode Verurteilten Lawrence, den bitteren Abschied von Frau und Kind, die bizarre Nähe zu den beiden Wärtern Hank und Sonny, die die letzten Menschen sind, zu denen er in seinen letzten Stunden Kontakt hat – seine Mörder und die auf deren Menschlichkeit er in seinen letzten Minuten am meisten angewiesen sein wird.
Hintergründe und Abgründe
Der Film handelt von der Todesstrafe trotzdem primär auf indirekte Weise. Er zeigt deren Opfer, vor allem aber beschreibt er die Bedingungen und Umstände, die zu ihr führen: Rassismus und Armut, vor allem aber die indirekte Gewalt- und Autoritätsstrukturen der Henkers-Familie, die – so muss man den Film verstehen –repräsentativ sind für die ganz alltägliche Normalität einer Gesellschaft, die sich zivilisiert nennt, sich aber von der archaischsten und barbarischsten aller Strafen noch immer nicht zu lösen vermag. In seiner Präzision, seiner kühlen Aufmerksamkeit, die nie in die Nähe der Kälte kommt, die vom Moralisieren weit entfernt ist und doch an ihrer moralischen Grundhaltung – und der Verurteilung der Todesstrafe – nie zweifeln lässt, geht
Monster's Ball über viele andere Filme zum selben Thema weit hinaus, unterscheidet sich zum noch Besseren auch von eindrucksvoll engagierten Filmen wie Tim Robbins
Dead Man Walking.
Abrupter Stimmungswechsel
Kurz nach der Vollstreckung des Urteils verändert sich etwas. Mit blitzartiger Gewalt bricht aus, was womöglich schon lange angelegt war, schlägt dem Zuschauer mit Wucht ins Gesicht und lässt ihn einen Augenblick allein mit dieser Erfahrung. Spontan und gleichermaßen als Folge jahrelanger Demütigung erschießt sich Sonny Grotowski vor Vater und Großvater. Und aus dem hochgestörten Rassisten Hank, dem Prototyp des autoritären Charakters, wird etwas, das man kaum benennen kann. Zunächst einmal ist da Verstörung. Und dann Glück.
Parallelwelten
Parallel zu Hanks Geschichte, weniger ausführlich, aber doch gleichberechtigt, steht die der schwarzen Kellnerin Laetitia. Sie ist die Frau des Todeskandidaten. Schwach, verletzlich, aber voller Überlebenswillen – obwohl sie keine Chance hat. Wieder ist die Familie Schauplatz des Geschehens, aber das muss wohl so sein, jedenfalls hier, wo die Familie selbst einer Todeszelle gleicht. Man sieht Laetitia mit ihrem fettleibigen Sohn, man sieht die Gewalt, die es auch in dieser Familie gibt, und man sieht wie auch Laetitia durch die Hölle gehen muss, bevor ihr der Film und die Verhältnisse etwas Glück gönnen. Auch hier wieder ist viel Humor, viel, Leichtigkeit der Inszenierung. Und es ist die größte Kunst dieses jungen Regisseurs, dass sein Film so ernst sein kann und dabei gleichzeitig so leicht, so hart und so wunderschön.
Inszenierung gegen alle Konventionen
Monster's Ball ist ein stiller Film, der zugleich eine seltene Sogkraft entfaltet. Dies gelingt, weil er den menschlichen Abgründen nicht ausweicht, sondern sie zum Thema macht, sie nicht nur behauptet, sondern in Bilder fasst. Der Film besticht nicht allein durch großartige Schauspieler, sondern auch durch wunderbare, sanft-geschmeidige Bilder, durch das Taktgefühl der Regie, die die Balance zwischen Humor und Melodram hält, den Figuren nahe rückt, ohne sie preiszugeben. Dabei vermeidet
Monster's Ball nahezu alle Konventionen, nicht nur die der political correctness, sondern auch jene des filmischen Erzählens. Ein Film der Offenheit und der Sanftheit, des Unausgesprochenen, Subtilen, der es bei Andeutungen belässt, wo andere Erklärungen über Erklärungen häufen. Eine anrührende Liebesgeschichte über zwei einsame Seelen, die sich begegnen, die sich helfen können in ihren Ängsten, bei ihren Schwierigkeiten, innerlich zu überleben, nichts vollends zu verhärten.
Glück im Horror
Obwohl er zunächst ganz anders aussieht, ist dies ein Film über das Glück. Er beschreibt, wie Glück daraus entstehen kann, dass man sich dem reinen Horror aussetzt. Folgt man dieser Geschichte von Vergebung und Erlösung, dann gilt die paradoxe Weisheit: Man muss seine Familie hinter sich lassen, um seine Familie zu gründen. Man muss vergeben können, um vergeben zu werden. Denn selbst der Henker ist ein Opfer.
Autor/in: Rüdiger Suchsland, 01.09.2002