"Tradition – Ehre – Disziplin – Leistung" schallt es im Herbst 1959 den Neuankömmlingen entgegen, das über hundertjährige Credo der erzkonservativen Welton Academy nahe der amerikanischen Ostküste. Hier werden die Söhne der wohlhabenden Oberschicht auf ihre künftigen Spitzenpositionen vorbereitet, herangebildet und geformt zu tadellosen Ärzten, erfolgreichen Rechtsanwälten und dergleichen , hier werden sie pausenlos angehalten, den durchweg hohen Erwartungen ihrer Eltern zu entsprechen.
Von der Wissensaufnahme zur eigenen Erfahrung
"Travestie – Ekel – Dekadenz – Lethargie" übersetzen heimlich kichernd jene Schüler, die schon länger dabei sind – ihre einzige Form von Aufmüpfigkeit in einem Alltag, der von seelenloser Konformität bestimmt ist. Bis Mr. Keating auftaucht, der neue Englischlehrer und die Schüler etwas gänzlich Anderes lehrt. Er lässt sich von Mutigen, ein Gedicht Whitmans über Abraham Lincoln rezitierend, mit "Oh Captain, Oh Captain" ansprechen, ermuntert sie auf die Tische zu steigen, um eine andere Perspektive einzunehmen, die Dinge aus einem neuen Blickwinkel sehen zu können, lässt sie die Einleitung zur mathematischen Bestimmung der Qualität von Poesie aus ihren Lehrbüchern reißen. Vor den Schaukästen mit den Fotos der ehemaligen Schulabsolventen führt er ihnen die Vergänglichkeit des Lebens vor Augen: "Pflücke die Knospe, so lange es geht, und die Blüten, wenn sie noch prangen. Denn bald sind die Rosenblätter verweht, wie schnell kommt der Tod gegangen." Er ermahnt sie auch zum "Carpe diem – Nutze den Tag! Macht etwas Außergewöhnliches aus eurem Leben".
Der Geist ist frei
Keating, selbst ein ehemaliger Welton-Zögling, ermuntert seine Schüler zu selbstständigem Denken und kritischer Reflexion, regt ihre Fantasie und Kreativität an, ermutigt sie zur Verwirklichung ihrer Träume und Sehnsüchte. Ihre Begeisterung für den Lehrer wächst noch, als sie in Erfahrung bringen, dass dieser während seiner eigenen Schulzeit Mitglied im Geheimbund "Club der toten Dichter" war, dessen Mitglieder sich als Romantiker verstanden: "Das Mark des Lebens in sich aufzusaugen" war ihr Ziel. Wie ihr historisches Vorbild trifft sich bald eine Gruppe von Schülern, um in regelmäßigen nächtlichen Sitzungen in einer Höhle fremde oder selbst geschriebene Gedicht vorzulesen und dabei auch schon mal Zigaretten zu rauchen und Alkohol zu trinken. Hier sind sie frei und unabhängig, können über ihr Leben und ihren Platz in der Welt sinnieren, ihren Gedanken und Empfindungen nachhängen.
Selbstverwirklichung und Zivilcourage
Der Transfer der neuen Weltsicht und Widerständigkeit in die Realität erweist sich jedoch als problematisch: Erbarmungslos schlägt das etablierte Schulsystem zurück, das gänzlich anderen Maximen gehorcht. Als schließlich ein Clubmitglied, der von der Schauspielerei träumende Neil, Keatings Lebensphilosophie unmittelbar in seine eigene Biographie umsetzen möchte und gegen das ausdrückliche Verbot des engstirnigen Vaters in einem Theaterstück mitspielt, kommt es zu einer dramatischen Wende. Sie endet mit dem Selbstmord des Verzweifelten. Der Verantwortliche ist schnell ausgemacht; die Schüler müssen, wollen sie ihre Karrieren nicht vorzeitig beenden, ein Dokument unterschreiben, das Keating schwer belastet. Der Lehrer wird gefeuert. Ratlos sitzen seine Schüler am Ende da, die alten Strukturen haben sie eingeholt. Da kommt es zu einer letzten mutig-verzweifelten Aktion, einer couragierten Huldigung an den Lehrmeister: "Oh Captain, mein Captain" ruft einer und steigt, allen Verwarnungen des Rektors zum Trotz, auf den Tisch – und die Hälfte der Klasse folgt seinem Beispiel ...
Zeitlose Aktualität
Wie ist es, diese Schlüsselszenen und den ganzen Film 13 Jahre nach Kinostart wieder zu sehen? Eigentlich wie beim ersten Mal: bewegend, emotional anrührend, Mut machend – ein eindrückliches Plädoyer für Zivilcourage, persönliche Freiheit und geistige Unabhängigkeit, aber auch für Freundschaft und Solidarität. Kein Staub hat sich abgesetzt auf diesem Film – dazu ist sein Thema zu universell, über die Zeiten hinweg von gleich bleibender Aktualität.
Vielfältige Denkanstöße
Aber auch der kleine Rest des damaligen Unbehagens stellt sich wieder ein: Ist der Film nicht doch ein wenig schlicht und letztlich konventionell in seiner Weltzeichnung, zu kalkuliert in seiner Wirkung auf die Empfindungen eines pubertierenden Publikums? Verkommen die Texte Whitmans, Tennysons, Lindsays und Thoreaus, der großen amerikanischen Lyriker, hier nicht zu Slogans, ausgewählt zur bloß eingängigen Illustration einer romantischen Idee von persönlicher Freiheit? Zeigt der Film nicht auch, dass der Widerstand gegen das Establishment nur verloren gehen kann, Rebellion gegen ein tradiertes System teuer bezahlt werden muss? Und wie sieht es mit der Verantwortlichkeit des Lehrenden aus, der die emanzipatorischen Prozesse doch angestoßen und forciert hat? Reichlich Stoff für kontroverse Diskussionen wird also geboten – eine gute Gelegenheit, selbstständiges, unabhängiges Denken zu erproben, normierte Denkmuster zu überprüfen, eigene Positionen zu hinterfragen, verschiedene Blickwinkel einzunehmen und neue Perspektiven zu wagen.
Autor/in: Frauke Wiegmann, 01.01.2003