Sie kommen aus der Ukraine und von Irgendwoher. Tausende Dollars hat es sie gekostet, Tausende von Kilometern haben sie bereits zurückgelegt, nun fehlt nur noch der letzte, der von Slubice nach Frankfurt/Oder, der vom Elend zum Glück . Der LKW der Schlepperbande hat sie auf einem Feldweg ausgespuckt und der Fahrer hat "Berlin" gesagt. Aber Slubice ist kein Vorort von Berlin, wie sie zunächst hoffen, nicht einmal ein Vorort von Frankfurt, denn das liegt auf der anderen, der deutschen Seite der Oder, für sie auf legalem Weg unerreichbar. Aber wer wird schon aufgeben, so kurz vor dem Ziel?
Ziele und Wege
Ingo ist schon dort, wo Kolja, Dmitri und Anna erst hinwollen, denn er kam von Westen, also "aus Schengen". Aber am Ziel ist auch er nicht. Sein Matratzengeschäft auf Pump mit arbeitslosen Helfern, die er nicht bezahlen kann, wird ihn jedenfalls nicht dorthin bringen. Das Ziel von Antoni und Milena in Slubice ist dagegen geradezu bescheiden: Töchterchen Marysia soll an ihrem großen Tag zur Erstkommunion im weißen Kleid wie eine Prinzessin aussehen; ohne zusätzliche Taxi-Nachtschichten Antonis wird daraus nichts werden. Am Stadtrand von Frankfurt versucht der KFZ-Mechaniker Maik mit seinen Söhnen und einer jungen Ausreißerin, sein dürftiges Einkommen mit Zigarettenschmuggel aufzubessern, doch zu mehr als einer baufälligen Kate hat es bisher nicht gereicht. Dagegen geht es für den deutschen Unternehmer Wilke um ganz andere Beträge: er will am polnischen Oderufer eine große neue Fabrik hochziehen und weiß die Vorzüge des west-östlichen Preisgefälles auch sonst zu nutzen – bei erotischen "Überstunden" etwa.
Das "liebe" Geld
So viele Menschen, so viele Motive unterwegs zu sein, so viele Wege, die sich in den 48 Stunden der Filmhandlung kreuzen – und doch dreht sich, wenngleich in unterschiedlichem Maße, fast alles irgendwie ums Geld. Eine Ausnahme vielleicht bilden die beiden Frauen Simone und Sonja. Simone, bislang glücklos in der Liebe wie in der Jobsuche, will bei Ingo wenn schon keinen Job, so wenigstens eine neue Liebe finden. Für Sonja aus Berlin bedeutet die Arbeit als Dolmetscherin bei der Ausländerpolizei in Frankfurt zwar ein geregeltes Einkommen, doch dann ist sie von der Behandlung der Aufgegriffenen so angewidert, dass sie mehr tun will, als die Dienstpflicht gebietet und sogar mehr als erlaubt ist. Das könnte sie ihren Job kosten und die Liebe zu ihrem pragmatischen Christoph sowieso, der sich mit Geld – wieder mal Geld! – aus seiner Verantwortung stehlen will.
Direkt angesprochene Klischees
Schließlich, so weiß sich Christoph mit den meisten Stammtischrednern einig, geht es "denen" doch nur ums Geld und den westlichen Luxus, und dass Kolja, wenn er endlich am Potsdamer Platz in Berlin angekommen ist, als "Dank" für Sonjas freundliche Hilfe auch noch Christophs Fotoausrüstung aus ihrem Auto mitgehen lässt, scheint das zu bestätigen, dass "die" doch alle klauen. Es gehört zum durchgängigen Realismus von
Lichter, dass Schmid und sein Co-Autor Michael Gutmann den gängigen Klischees und Biertischparolen nie aus dem Wege gehen, sondern sie direkt ansprechen. Da gibt es gewalttätige Bulgarenbanden und vietnamesische Schmugglerbosse, aber auch den schmierigen, korrupten Wendegewinnler und den Versager aus dem Westen, der glaubt, sein nicht vorhandenes Unternehmertalent werde für den Osten allemal reichen. So erklärt der Film eines der häufigsten Argumente gegen die Migranten gleich pauschal für obsolet, denn sind nicht auch Wilke und Ingo nichts anderes als "Wirtschaftsflüchtlinge"?
Echte Gefühle, dokumentarischer Stil
Die Vielzahl der parallelen Handlungsstränge, die sich nur lose berühren und im häufigen Szenenwechsel Spannungsmomente bieten, erlaubt es Schmid, auf die Dramatisierung einzelner Szenen weitgehend zu verzichten. Ein gut gewähltes und hervorragend geführtes Darstellerensemble (besonders hervorzuheben Devid Striesow als Ingo und Maria Simon als Sonja) gibt den Figuren trotz der episodischen Erzählweise Kontur und Tiefe. Als Fehlgriff erweist sich allerdings die Bildgestaltung durch den jungen Polen Bogumil Godfrejow, der – wohl der derzeitigen Kameramode folgend – mit wilden, hilflos wirkenden Reißschwenks und wackliger, nervtötender Handkamera allen Episoden einen pseudodokumentarischen Anstrich zu geben versucht, den sie nicht brauchen. Besser wäre gewesen, sie mit unterschiedlichen Bildstilen auch visuell zu markieren. Das trübt den Genuss von Schmids Film merklich, kann ihn aber nicht verderben.
Autor/in: Hans-Günther Dicks, 01.07.2003