Rituale im Blauen Dunst – Star-Image und Lobby-Arbeit
Rauchen ist immer auch Pose. Wie hält man die Zigarette: Zwischen Daumen und Zeigefinger oder zwischen Zeige- und Mittelfinger? Im Mundwinkel hängend oder wie einen Schnuller in der Mitte der Lippen? Hinter der Pose versteckt sich ein unausgesprochener Code für den Typus, den man verkörpern möchte, denn der Mensch inszeniert sich gerne in seiner sozialen Rolle. Zu dieser Inszenierung gehört der Umgang mit der Zigarette. Auch ihre Vermeidung oder Verachtung ist Teil des Rollenspiels. Deswegen ist das Ausprobieren der Pose gerade dann besonders wichtig, wenn man die eigene Identität sucht und das Bild entwirft, das man nach außen vermitteln möchte: in der Pubertät. Es ist eine Zeit, in der man sich an Vorbildern orientiert, indem man deren Posen nachahmt. Medienfiguren als Vorbilder sind spätestens relevant, seit sich Kino und Fernsehen zu Massenmedien entwickelt haben und seit Stars mit einstudiertem Image ihrem Publikum als Modelle dienen.
Unverzichtbares Requisit
Die Diskussion um den Blauen Dunst im Film muss deshalb an den Star-Images, den Autogramm- und Zeitschriften-Fotos und den Fernsehauftritten einsetzen, die das Markenzeichen Prominenz nach außen kommunizieren und nicht so sehr an den Darstellungen von Rollen im Film. Zur Figur des Gangsters im Hollywood-Kino der 1940er-Jahre gehört beispielsweise die Zigarette. Hier lohnt es sich, einmal genau darauf zu achten, wie ein prominenter Gangster-Darsteller wie James Cagney sich außerhalb der Filmrolle präsentiert oder wie das Studio ihn auf den Image-Fotos inszeniert. Gerade auf solchen Image-Fotos ist die Zigarette (die Zigarre, die Pfeife) in den 1930er- bis 1980er-Jahren ein nahezu unverzichtbares Requisit.
Nur die Guten qualmen?
Es war beileibe nicht nur Humphrey Bogart, der über seinen Gestus mit der Zigarette identifiziert wurde. Und es ist auch nicht so, wie heute die Anti-Raucher-Lobby gern behauptet, dass einst im Kino hauptsächlich die Bösewichte qualmten. Nein, fast alle Heldendarsteller treten auf den Starfotos mit Rauchwerkzeug auf: William Powell, Gary Cooper, John Wayne, Errol Flynn, Kirk Douglas, Gregory Peck, James Dean, Marlon Brando, Paul Newman, Dustin Hoffman und viel andere. Bei den Damen profilieren sich unter anderen Carole Lombard, Joan Crawford, Marlene Dietrich, Rita Hayworth, Audrey Hepburn und Jane Fonda beim Rauchen. Das erotische Spiel mit dem Feuer-Geben zwischen Humphrey Bogart und Lauren Bacall wird in Thank You For Smoking sogar im Filmdialog ausgiebig interpretiert.
Zeichen für Erfolg
Im klassischen Hollywood gehörte die Zigarette offensichtlich zum Fundament des Starruhms. Das musste Wirkung auf das Imitations-Verhalten der Fans haben. Es ist keineswegs so, dass die jugendliche Entscheidung für oder gegen das Rauchen frei und unabhängig getroffen wird, wie es die Figur des Tabak-Lobbyisten Nick Naylor im Schluss-Plädoyer von
Thank you for Smoking nahe legt. Für solche Entscheidungen gibt es Auslöser im persönlichen wie im medialen Umfeld. Wer einem Lieblingsstar nacheifert, imitiert dessen Rauch-Verhalten, das nicht nur als Zeichen für Lässigkeit oder Coolness sondern auch für Erfolg gedeutet wird. In einer Epoche, in der das Fernsehen seinem Publikum suggeriert, in jedem/r stecke ein potenzieller Superstar, ist die Bereitschaft zu derartiger Mimesis besonders ausgeprägt.
Die besseren Gäste
Insofern ist es nicht erstaunlich, dass sowohl die Raucher- wie die Nichtraucher-Lobby darum wetteifern, solche in Filmen vergebenen Images zu besetzen. Die einen wollen ihre Produkte verkaufen, die anderen eine bestimmte Wertvorstellung von gesundem Verhalten. Also ist Nick Naylors Intervention in Hollywood für die Tabakindustrie absolut vorrangig. Wer das Verhalten des Orientierungspersonals beeinflusst, wirkt dadurch auf die Zielgruppe, die er/sie erreichen möchte. Ein deutsches Beispiel dafür ist die enge Kooperation zwischen der Tabak-Lobby und den Gastronomie-Verbänden, um das Rauchverbot in Lokalen oder auch nur die Einrichtung von Nichtraucher-Zonen zu verhindern. "Raucher sind die besseren Gäste", lautete der Slogan einer gemeinsamen Kampagne. Das impliziert, dass sich Nichtraucher gefälligst anstrengen sollten, um gute Gäste zu werden und daher nicht über störende Rauchschwaden vom Nebentisch meckern dürften – ein semantischer Trick, wie ihn Naylor im Film mehrfach demonstriert.
Rauchfreier Comic-Cowboy
Auch wenn in jüngster Zeit von Seiten eines großen Teils der Nichtraucher-Lobby heftig kritisiert wurde, dass die Figuren auf den Kinoleinwänden in den 1990er-Jahren wieder mehr geraucht hätten, sind die Zeiten der großen Leinwand-Rituale mit der Zigarette offensichtlich vorbei. Die Rauchfahne im Gegenlicht, die dekorativ umwölkte Bar, die Zigarettenhand, die lasziv in Richtung Kamera kippt, das schweigende Duell zweier Widersacher, die vor dem Gespräch oder dem Kampf die Stäbchen aus den Packungen klopfen, um sie mit zeremoniellen Gesten zu entzünden, alle diese dramaturgischen Versatzstücke des klassischen Hollywoodkinos kommen heute nur noch als Zitat vor. In der gesundheitsbewussten Zivilisation des Westens, in der selbst der Comic-Cowboy Lucky Luke bereits 1983 die Zigarette gegen einen Grashalm eintauschen musste, um kein schlechtes Vorbild abzugeben, ist es schwer geworden, mediale Lobgesänge auf den Genuss des Rauchens anzustimmen. Coffee and Cigarettes vom Jim Jarmusch war 2004 vielleicht einer der letzten Versuche.
Hinterrücks korrekt
Mit seinem ironischen Verstoß gegen politische Korrektheit – die auch nur die Korrektheit der Nichtraucher-Seite ist – wirkt
Thank you for Smoking wie ein Nachhutgefecht. In seiner Dramaturgie ist der Film durch die Hintertür doch wieder korrekt, indem er vom Wandel des rauchenden Lobbyisten zum Nichtraucher erzählt – auch wenn sich dieser Wandel nicht durch bessere Einsicht sondern durch die lebensbedrohliche Strafaktion mit Nikotinpflastern vollzieht. Um seine eigene Botschaft zu transportieren, manipuliert der Film die Zuschauenden zudem mit subtilen Tricks nach demselben Muster des Lobbyisten. Das ist für die Analyse solcher Beeinflussungs-Mechanismen besonders interessant.
Die Tricks der Lobbyisten
Ein Trick ist ganz einfach zu durchschauen. Um die Sympathie eines möglicherweise gesundheitsbewussten Publikums für die Hauptfigur zu erhalten, wurden die Rollen der antagonistischen Nichtraucher-Lobbyisten mit blass geschminkten, grau kostümierten und schon vom Erscheinungsbild wenig strahlenden Schauspielern/innen besetzt, allen voran William H. Macy als eifernder Politiker Finisterre. So werden sie schon rein äußerlich gegenüber dem vitalen Aaron Eckhart in der Hauptrolle diskreditiert. Außerdem wurde die Hauptfigur von Regisseur und Drehbuchautor Jason Reitman mit einem außergewöhnlich klugen Sohn ausgestattet. Im Vokabular des Hollywoodfilms heißt das, dass der Vater kein ganz schlechter Mensch sein kann. Über das Kind – und über die zunehmende Präsenz der getrennt lebenden Mutter im letzten Filmteil – wird dann auch unterschwellig nahe gelegt, dass eine Rückkehr zur Kernfamilie noch möglich sein könnte. Hier leistet
Thank You For Smoking genau die Lobby-Arbeit, der sich Hollywoods Filmemacher/innen seit Jahren bewusst oder unbewusst verschrieben haben. Sie kämpfen um den Erhalt der heilen Familie. Es ist eben schwer, auf gute Lobbyarbeit nicht hereinzufallen.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 11.10.2006
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