Hintergrund
Berlinale 2007: Die Filme der Generation Kplus
Geschichten für das junge Publikum
Kinder, die Selbstvertrauen gewinnen, Freundschaften, die geschlossen und dann auf die Probe gestellt werden oder Probleme des Erwachsenwerdens, das sind klassische Themen des Kinderfilms. Wie wenig diese universellen Themen an eine bestimmte Form oder gar ein Genre gebunden sind, zeigt das Programm Generation Kplus der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2007, das sich an das ganz junge Publikum, aber auch an ältere Kinder richtet.
Das große Abenteuer
Der Wunsch, in einem großen Abenteuer Grenzen zu überschreiten und die eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, steht im Mittelpunkt der aufwändigen europäischen Koproduktion
Kreuzzug in Jeans (Kruistocht in Spijkerbroek; Niederlande, Deutschland, Luxemburg, Belgien 2006; deutscher Kinostart: 14.06.2007) von Ben Sombogaart. Die filmische Adaption des gleichnamigen preisgekrönten Romans von Thea Beckman erzählt von dem 15-jährigen Dolf, der eine Zeitreisemaschine benutzen will, um seinen Fehler in einem Fußballspiel wieder ungeschehen zu machen. Das Experiment scheitert jedoch und Dolf wird geradewegs ins finsterste Mittelalter versetzt. Dort bringt der Wissensschatz des Jungen aus der Zukunft schnell das streng hierarchisch geordnete Leben der Menschen ins Wanken und er verändert den Lauf der Dinge, wenngleich er nicht alles zum Guten wenden kann.
In
Trigger (R: Gunnar Vikene; Norwegen, Schweden, Dänemark 2006) findet das Abenteuer direkt vor der Haustür und in der Gegenwart statt. Trigger nennt die junge Alise das Pferd, das sich eines Tages in die Sportanlage des Dorfes verläuft. Mit Hilfe ihres Großvaters kämpft sie um das Leben des Tieres, das dessen Besitzer schlachten lassen will. Dafür muss sie sich jedoch ihrer großen Angst vor Pferden stellen, und auch der Großvater wird an unliebsame Ereignisse aus der Vergangenheit erinnert.
Das Leben, ein einziger Tanz?
Die Bedeutung, die Musik und Tanz in vielen aktuellen Produktionen für Kinder und Jugendliche haben und die sich vermutlich mit auf den Einfluss der international äußerst erfolgreichen Casting- und Talent-Shows im Fernsehen zurückführen lässt, findet ihren Widerhall auch im Programm von
Kplus. In dem Beitrag
Abgerockt (Förortsungar; R: Ylva Gustavsson, Catti Edfeldt; Schweden 2006) dient die Musik vor allem rappenden Kindern in einer schwedischen Vorstadt als Ausdrucksmittel, um den eigenen Lebenserfahrungen Gehör zu verschaffen. Seit drei Jahren bereits lebt die aus Afrika stammende Amina mit ihrem Großvater illegal in Schweden, ständig auf der Flucht und ohne Aufenthaltsgenehmigung. Als der Großvater stirbt, ist das Mädchen auf den sympathischen Rockmusiker Johan angewiesen, in dessen Wohnung sie Unterschlupf findet. Gemeinsam mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft und einer netten Sozialarbeiterin versuchen sie zu erreichen, dass Johann das Sorgerecht für Amina erhält. Musikeinlagen aller Art von Rock bis zur Folklore verdeutlichen spielerisch, wie Musik die alltägliche Wahrnehmung prägt und dem Leben Schwung verleiht.
Razzle Dazzle (R: Darren Ashton; Australien 2006) hingegen karikiert die Welle öffentlicher Performance-Shows und erzählt die Geschichte einer Kinder-Tanzgruppe, die von dem unkonventionellen Mister Jonathon geleitet wird, der mit dieser Gruppe in einem großen Wettkampf den ersten Platz belegen möchte. Mister Jonathon ist überzeugter Idealist; er will mit seiner ambitionierten Tanzshow eine politische Botschaft vermitteln, während manche Eltern mit dem Erfolg ihrer Kinder eigene Träume verwirklicht sehen möchten. Die selbstironische Abrechnung mit typischen Tanz-Wettbewerbsfilmen und Talent-Fernsehshows imitiert den Stil eines Dokumentarfilms und spielt augenzwinkernd mit der fließenden Grenze zwischen Fiktion und Realität. Offen bleibt, inwiefern die Medienerfahrung heutiger junger Zuschauender bereits ausreicht, um dieses Muster der so genannten Mockumentary mit ihren überhöhten Figuren und Parodien zu durchschauen.
Den klassischen Standardtänzen widmen sich die Kinder und Erwachsenen in dem israelischen Beitrag
Love & Dance (Sipur Hatzi Russi; R: Eitan Anner; 2006, deutscher Kinostart: 12.04.2007). Der zwölfjährige Chen lebt mit seiner russischstämmigen Mutter und seinem israelischen Vater in einer großen städtischen Gemeinde russischer Migranten/innen. Die Liebe zu einer Mitschülerin führt ihn in einen Tanzkurs, obgleich ihm dort ein anderes Mädchen als Partnerin zugewiesen wird und er den "Mädchensport" vor seinem Vater geheim halten muss. Indem der Film auch die kulturellen Unterschiede und die Beziehungsprobleme der Erwachsenen aufgreift, entfaltet sich eine komplexe Gesellschaftsstruktur, die sich zugleich auf der privaten Ebene zwischen Eltern und Kindern beziehungsweise Tanzlehrern/innen und Tanzschülern/innen spiegelt.
Lieben lernen
Wie fließend die Grenze zwischen Freundschaft, Liebe und Eifersucht sein kann, erfahren ein Mädchen und ein Einhorn in der französischen Produktion
U (R: Grégoire Solotareff, Serge Elissalde; Frankreich 2006). Dieser Animationsfilm greift zwar auf typische Elemente wie sprechende Tiere und Musikeinlagen zurück, zeichnet sich aber in ästhetischer Sicht durch seine außergewöhnlichen Figuren und die flächigen klaren Zeichnungen aus. Prinzessin Mona, ein Hund mit großen Füßen und Schlappohren, lebt in einem Schloss und ist sehr einsam. Ihr Schluchzen ruft eines Tages das Einhorn U herbei, die gute Fee der Geschichte. U wird zur besten Freundin von Mona und zeigt ihr die wunderbare Welt jenseits der Schlossmauern. Als sie jedoch eine Gruppe musizierender Kater kennen lernen, allesamt charmante Lebemänner, verändert sich alles. Mona verliebt sich in den Kater Kulka – und U wird sehr eifersüchtig.
Eine neue Freundin stellt auch die enge Freundschaft zweier siebenjähriger Mädchen in dem dänischen Kurzfilm
Blutsschwestern (Blodsøstre; R: Louise N. D. Friedberg; 2006) auf die Probe. Auf einer Geburtstagsfeier geraten die Gefühle füreinander, die längst zur Vereinnahmung der besten Freundin führten, außer Kontrolle. Die Eskalation der Situation schockiert und entspricht den Erfahrungen vieler Kinder und Erwachsener, wenn eine Freundschaft zerbricht und sich die Zuneigung eines anderen Menschen nicht erzwingen lässt.
Hier wollen wir nicht leben
Im Genre des Geisterfilms erzählt der thailändische Beitrag
Das Internat (Dek Hor; R: Songyos Sugmakanan; Thailand 2006) eine metaphorische Geschichte von Freundschaft und Einsamkeit. Weil Tons Vater befürchtet, dass sein Junge zu Hause nicht genug gefordert wird, schickt er ihn auf eine abgelegene Privatschule. Unheimliche Geräusche stören dort die Nachtruhe. Schenkt man den Kindern Glauben, so hängen diese mit dem Tod eines Jungen im Swimming Pool vor ein paar Jahren zusammen. In der Tradition asiatischer Horrorfilme verzichtet die Inszenierung auf verniedlichende Geister oder humoristische Auflockerungen, sondern erzählt vor dem Hintergrund eines tragischen Ereignisses eine letztlich ganz alltägliche Geschichte über die Angst, von den Eltern im Stich gelassen zu werden, alleine zu sein und keine Freunde zu finden.
Besonders bedrückend ist die Atmosphäre in
Iskas Reise (Iszka Utazása; R: Csaba Bollók; Ungarn 2007). Das Zuhause der zwölfjährigen Iska, die mit ihren kurzen Haaren wie ein Junge aussieht, ist geprägt von Lieblosigkeit und Gewalt durch die alkoholkranken Eltern. Der Traum, eines Tages noch einmal das Meer zu sehen, treibt Iska jedoch an, mit einem Freund wegzugehen und in eine ungewisse Zukunft aufzubrechen. Der trostlose Alltag spiegelt sich in der rauen Ästhetik der Bilder und verdeutlicht: Hoffnung ist auch nur ein Traum. In der Sektion
Kplus wurde dieser Film mit einer Altersempfehlung ab 13 Jahren versehen, um den Grenzbereich zur Sektion
14plus zu verdeutlichen und eine offene Diskussion darüber in Gang zu setzen, was man Kindern in einem Film für Kinder zumuten darf und sollte.
Autor/in: Stefan Stiletto, 06.02.2007
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