Johannes Schmid, geboren 1973 in Bayern, studierte Theater- und Filmwissenschaften, Germanistik und Kunstgeschichte in Erlangen und München. Seit dem Jahr 2000 ist er als freischaffender Regisseur für Theater und Film tätig. Ein Jahr später gründete er gemeinsam mit Philipp Budweg die Filmproduktionsfirma
schlicht und ergreifend Film GmbH. Nach zahlreichen Kurzfilmen kam 2008 sein Spielfilmdebüt
Blöde Mütze! (D 2006) in die deutschen Kinos. Das Drehbuch zu
Blöde Mütze!wurde mit dem von VISION KINO und dem KI.KA verliehenen Drehbuchpreis Kindertiger ausgezeichnet.
Wintertochter ist sein zweiter Spielfilm.
Wintertochter verwebt zwei Geschichten: Kattakas Suche nach ihrem Vater und Lenes Reise in ihre Vergangenheit. Was war die Ausgangsidee?
Ich weiß von der Drehbuchautorin Michaela Hinnenthal, über die der Stoff zu mir kam, dass zuerst die Vatersuche des Mädchens da war, die es mit der Nachbarin unternimmt. Ursprünglich sollte es nach Hamburg gehen. Und dann war irgendwann klar, dass die Reise nach Polen führen soll. Auch Michaelas Mutter ist als Kind aus Masuren über Danzig geflohen.
Was hat Sie am Drehbuch angesprochen?
Mir hat besonders gefallen, dass es eine Geschichte zwischen einer alten und einer jungen Protagonistin ist: Zwei Frauen, die von einem ganz unterschiedlichen biografischen Punkt aus starten, machen sich gemeinsam auf die Reise Richtung Polen und unterstützen sich dabei zunehmend gegenseitig bei der Bewältigung ihrer Probleme. Außerdem fand ich toll, dass ein Kind über eine Zeitzeugin Einblicke in das Thema "Zweiter Weltkrieg", in Flucht und Vertreibung erhält. Da bekommt man einen anderen emotionalen Bezug, als wenn man nur Fakten erfährt.
Der Film streift wiederholt Aspekte der deutsch-polnischen Geschichte. Was war dabei Ihr Ansatzpunkt?
Es ist tatsächlich so, dass diese Themen auf eine Art angerissen werden, die hoffentlich bewirkt, dass jüngere Zuschauer darüber mit ihren Eltern oder Großeltern sprechen. Was die Geschichte der beiden Länder betrifft, wollen wir natürlich nicht in eine bestimmte politische Ecke gestellt werden. Der Film erzählt das persönliche Leid einer Fluchtgeschichte, aber er weist keine Schuld zu, sondern versucht, diese Schicksale im historischen Geflecht zu verankern. Deshalb gibt es auch die Episode auf dem Bauernhof tief im polnischen Masuren. Das ist eine sehr wichtige Szene, wo man die Verletzung spürt und sich fragt: Was haben die Deutschen im Krieg eigentlich in Polen alles gemacht?
Wie haben Sie die Kinderschauspieler an diese Thematik herangeführt?
Wir haben viel darüber gesprochen und das Drehbuch im Vorfeld sehr genau durchgearbeitet. Geholfen hat auch, dass sie durch die älteren Darsteller, durch Ursula Werner oder von polnischer Seite auch durch Daniel Olbrychski ein Gefühl für diese Themen bekommen haben. Das Gute an dem Film ist aber auch, dass man nicht über die gesamte europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts Bescheid wissen muss, um ihn emotional verstehen zu können.
Wintertochter erzählt Einzelschicksale – und weckt Interesse für die Fakten.
Hätte der Film auch im Sommer spielen können?
Nein, denn der Winter und die Winterbilder machen einen assoziativen Raum für Vertreibung und Flucht auf, die ja überwiegend im Winter stattgefunden haben. Die Bilder stehen also assoziativ für den Winter 1944/45.
Ursprünglich hieß der Film "Wintervater".
Das war tatsächlich der Arbeitstitel, aber wir haben uns am Ende für
Wintertochter entschieden, weil sich dieser Titel auf beide Frauen bezieht. Kattaka wird im Winter zu einer neuen Tochter, wie auch Lene bei ihrer Reise in die Vergangenheit wieder zu einem kleinen Mädchen wird.
Was möchten Sie besonders jüngeren Zuschauern mit Ihrem Film vermitteln?
Dass man den Mut wagen kann, sich auf Neues einzulassen, dass man sich dem Leben und neuen Situationen stellt. Und dass man versucht, dies nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Andererseits will
Wintertochter aber auch für geschichtliche Themen sensibilisieren und über diese Art Zeitzeugenbericht einen emotionalen Zugang zur deutschen oder europäischen Geschichte eröffnen.