... und die Moral von der Gewalt ...
Portrait Michael Haneke
Michael Haneke ist europäischer Autorenfilmer reinsten Wassers. Der 1942 in München geborene, in Österreich lebende Regisseur ist zugleich radikaler Kino-Ästhet und rigoroser Moralist. Sein Antrieb, Filme zu machen, entspringt ebenso dem Aufbegehren gegen den US-amerikanischen Mainstream-Film als auch dem Thema, dem er sich verschrieben hat, der Gewalt und ihrer Auswirkung auf die filmischen Protagonisten wie auf den Kino-Zuschauer. Das eine hängt für Haneke eng mit dem anderen zusammen: "Das Mainstream-Kino nimmt dem Zuschauer nicht nur die Bilder und Töne, sondern auch die Gedanken weg, es vergewaltigt seine Zuschauer ... Meine Filme reagieren auf eine Medienlandschaft, in der Gewalt auf tausend verschiedene Arten zum Konsum hergerichtet wird." Hanekes Filme, vor allem seine Trilogie Der siebente Kontinent, Bennys Video und 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls, aber auch sein neues Werk Funny Games, kreisen alle um die Fragen, welche Auswirkung Gewalt auf die Opfer und – auf einer zweiten Ebene – auf den Betrachter hat und wie Gewalt in den Medien erscheint.
In Der siebente Kontinent begeht eine gutbürgerliche, dreiköpfige Familie kollektiven Selbstmord, wobei die Beweggründe für die sorgsam geplante Tat nicht leicht zu entschlüsseln sind. In Bennys Video erschießt ein 14-jähriger Junge, ein begeisterter Videofan, scheinbar ohne tieferen Grund ein Mädchen, das er gerade kennen gelernt hat, nur "um zu sehen, wie das ist". 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls vermittelt bruchstückhafte Einblicke in das Leben einiger Personen, die alle zufällig beim Amoklauf eines Studenten in einer Bank zusammentreffen. Funny Games schließlich zeigt wieder den Einbruch der Gewalt in eine Familie, diesmal aber von außen, als eine Art Gegenstück zu Der siebente Kontinent.Die Geschichten, die Haneke dem Zuschauer erzählt, werden nicht psychologisch oder soziologisch erklärt, sie 'geschehen' einfach. Gerade darin liegt die Provokation, die der Filmemacher beim Zuschauer auslöst. Seiner Meinung nach federt das US-amerikanische Mainstream-Kino seine Gewaltdarstellung durch verschiedene Mechanismen ab, um sie dadurch konsumierbar zu machen, etwa durch eine Dämonisierung der Täter, durch komische oder ironische Einfärbungen, durch ein Happy-End oder durch filmische Mittel wie Musik oder Zeitlupe. Gerade das aber gilt es für Haneke zu verhindern, der 'Gewalt' so zeigen möchte, wie sie in Wahrheit ist: brutal und schmerzhaft für die Opfer. Voyeure sollen bei seinen Filmen nicht auf ihre Kosten kommen. Der Zuschauer wird gezwungen, über die eigene Position zur Gewalt nachzudenken. Wer das nicht aushält, dem bleibt nur die Flucht aus dem Kino, eine durchaus nachvollziehbare Reaktion – auch für den Regisseur selbst.
Verstärkt wird Hanekes konsequente und unerbittliche Beschäftigung mit dem Thema 'Gewalt' durch die formale Umsetzung. Wie sein Vorbild Robert Bresson reduziert er seine Filmsprache auf das Nötigste. Er verzichtet auf drastische Bilder der Gewalt, um statt dessen über filmische Reduktion und die Tonspur entsprechende Reaktionen beim Betrachter auszulösen. Im Kopf des Zuschauers lässt sich das Thema Gewalt dann nicht mehr verdrängen. Hanekes Werk hat nur einen entscheidenen Nachteil: es sind keine Filme für ein Massenpublikum. Mit seinen anspruchsvollen Filmen erreicht er die Zuschauer, um die es ihm eigentlich geht, nicht.
Autor/in: Joachim Kürten, 12.12.2006