Interview
Grenzen ausloten...
Ein Gespräch mit François Ozon
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: François Ozon
Ihr Film zeigt nicht gerade das, was man sich normalerweise unter einer glücklichen Familie vorstellt.
Was heißt schon Glück? Das ist immer eine individuelle Interpretation. Wenn Eltern und Kinder zusammen in einem Haus leben und sich gegenseitig auf die Nerven gehen, nach außen aber Harmonie demonstrieren, ist das doch nur eine von vielen Lebenslügen. Oder Eheleute, die in einer 'abgeliebten' Beziehung nichts mehr füreinander empfinden, spielen oft nur in der Öffentlichkeit das glückliche Paar. Die Fassaden bröckeln überall. Warum versuchen wir gegen jegliche Logik, eine kollektive Vorstellung von der einzig wahren Form des Zusammenlebens aufrechtzuerhalten, obgleich es das realiter nicht mehr gibt?
Man vergleicht Sie mit Pedro Almodovár. Gefällt Ihnen das?
Der Vergleich bezieht sich vielleicht auf das Schrille in meinem Film, die Farben, die Art der Komödie. Ich liebe Almodovárs Werke, aber ein Vergleich mit Buñuel wäre mir lieber. Den einzigen Film, den ich meinem Filmteam vor den Dreharbeiten gezeigt habe war Der diskrete Charme der Bourgeoisie. Es gefällt mir, wie Buñuel die Fantasmen und Träume behandelt, das Bürgertum auf die Schippe nimmt.
Wie sind Sie auf die Idee zu Sitcom gekommen?
Es ist auffallend, wie viele Filme die Familie oder eine Gruppe von Freunden als Ausgangspunkt nehmen, um im Verlauf der Handlung die Charaktere und Beziehungen zueinander zu verändern. Meistens kommt jemand von außen und stellt die heile Welt auf den Kopf. Bei mir übernimmt ein Tier die Funktion des Auslösers und Katalysators. Erst dachte ich an einen Hund oder eine Katze, aber die lieben wir als nette Haustiere. Die Ratte fand ich interessanter, weil es in meinem Film auch um Psychoanalyse geht. Da repräsentiert die Ratte etwas Schmutziges, etwas das wir verdrängen. Eine weiße Ratte präsentiert nach außen Sauberkeit, steht symbolisch aber doch für etwas Schmutziges im Innern.
Schauen Sie sich im Fernsehen Sitcoms an?
Mir gefällt das Genre, weil man da alle Elemente des Kinos mischen kann, von der Komödie bis zur Tragödie. Leider sind die meisten Sitcoms schrecklich steril, saubere Unterhaltung für die Familie im Disney-Stil. Das finde ich schon fast pervers.
Können Sie sich vorstellen, dass manche Zuschauer Ihren Film 'pervers' finden?
Das Verhalten meiner Protagonisten schockiert vielleicht, weil sie keine Tabus kennen und plötzlich ihre dunkelsten Seiten und niedrigsten Instinkte ausleben. Mir hat es Spaß gemacht, Grenzen auszuloten und gleichzeitig zu überschreiten, auch vielleicht die des sog. 'guten Geschmacks', besonders bei den wechselnden und überraschenden Paarkonstellationen.
Am Anfang planten Sie drei Episoden?
Sitcom ist mein erster langer Spielfilm, unterbewusst stellte ich mir wahrscheinlich drei Episoden einfacher vor. Aber dann konnte ich die einzelnen Fäden zu einer Gesamtgeschichte verknüpfen.
Sie setzen lustvoll auf Provokation statt auf 'Political Correctness'?
Besser gesagt, ich passe mich nicht gerne mit meinen Filmen an eine vorgegebene Richtung an. Sexualität existiert in verschiedensten Formen und determiniert menschliche Beziehungen. Ich halte es für Heuchelei, so zu tun, als gäbe es nur eine seligmachende Form der Sexualität. Leben heißt auch Experimentieren, Neues wagen. Wir sollten tradierte Normen immer wieder in Frage stellen. Ich habe in Sitcom die krude Form gewählt, damit sie Positionen herausfordert. Man wird den Film lieben oder hassen.
Autor/in: Margret Köhler, 11.12.2006