Neue Filme zum Thema Judenverfolgung (1999)
Filme, die sich mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden zurzeit des Nationalsozialismus auseinander setzen, haben zurzeit im Kino wieder Konjunktur – und sie bieten dabei nicht nur bekannte filmische Variationen des Themas. Nach Das Leben ist schön, Aimée und Jaguar und Meschugge startet demnächst Atempause, der neue Film von Francesco Rosi nach dem autobiografischen Roman von Primo Levi. Drei weitere, besonders beeindruckende Filme, von denen zwei bereits einen Verleih haben, waren auf der diesjährigen Berlinale zu sehen.
The Last Days unter der Regie von James Moll ist der erste Dokumentarfilm von Steven Spielbergs Shoah Foundation, der seinen Weg in die Kinos sucht. Es sind die Erinnerungen von fünf Überlebenden des Holocaust aus Ungarn, wo 1944 noch, kurz vor Kriegsende, die systematische Tötungsmaschinerie gegen die Juden in Gang gesetzt wurde, zu einer Zeit also, da sich die bevorstehende Niederlage der Deutschen bereits deutlich abzeichnete. Gespickt mit schockierenden Originalaufnahmen des Grauens und ergänzt um ein Interview mit einem ehemaligen KZ-Arzt in Auschwitz und um die Dimension der schwierigen Wiedereingliederung nach der Befreiung wird der Film zum sehenswerten Dokument der Erinnerung. Die fünf Lebensberichte sind trotz ihrer tragischen Momente allerdings sehr im Stil einer typisch amerikanischen, hoffnungsvollen Erfolgsstory gehalten und sparen dabei aus, dass viele Überlebende des Holocaust nicht wieder Fuß fassen konnten und im Leben gescheitert sind.
Hinter dem unscheinbaren Titel Ein Spezialist von Eyal Sivan verbirgt sich ein einmaliges, fesselndes Zeitdokument. Die Koproduktion zwischen Frankreich, Deutschland, Österreich, Belgien und Israel wurde in 13 Kapiteln ausnahmslos aus den 350 Stunden Filmmaterial von Leo Hurwitz montiert, der 1961 in Jerusalem den spektakulären Prozess gegen Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann dokumentierte – er hatte den Transport der Juden in die Vernichtungslager organisiert. Seinerzeit führte dieser Prozess in Israel zu einer verstärkten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust und seinen Opfern, die in den ersten Jahren nach der Staatsgründung ausgeblieben war. Ist man im ersten Drittel des Films noch überzeugt, bei Eichmann würde es sich um einen verstockten, monströsen Verbrecher handeln, der keinerlei Reue zeigt und mit haarspalterischen Argumentationen die Ankläger an der Nase herumführt, kristallisiert sich schließlich das beklemmende Bild eines in jeder Hinsicht durchschnittlichen, eines "entsetzlich normalen" Menschen heraus: Eichmann als Schreibtischtäter, als 'ordentlich' und präzise arbeitender Bürokrat, der fein säuberlich Pflicht und Gewissen trennt und keine Verantwortung für etwas übernehmen möchte, das er auf 'höheren' Befehl auszuführen hatte.
Viehjud Levi heißt der neue Spielfilm von Didi Danquart, nach einem Theaterstück des jung verstorbenen Autors Thomas Strittmatter. Ein idyllisch wirkendes Dorf im Schwarzwald um 1935 wird hier zum parabelhaften Mikrokosmos, "in dem Faschismus ebenso wie heutige ethnische Konflikte zu entdecken sind". In atmosphärisch dichten Bildern und mit durchweg brillanten Schauspielern wird die Geschichte des angesehenen Viehhändlers Levi nacherzählt, der im Schwarzwald heimisch werden und heiraten will. Doch binnen weniger Monate wird er von den Einheimischen ausgegrenzt und sogar tätlich bedroht, nachdem ein Ingenieur der Reichsbahn, ein Hardliner der Nazis, zusammen mit einem Trupp Bauarbeiter den Ort ideologisch auf die 'neuen' Zeiten ausgerichtet hat. Dabei konzentriert sich Danquart voll auf die Darstellung der Mechanismen der Machtausübung, des schleichenden Terrors und der Manipulation von Menschen, der Ausgrenzung einzelner und des (nur? schwachen) Widerstands.
Autor/in: Holger Twele, 11.12.2006