Ist
Geliebte Aphrodite nun Woody Allens filmischer Kommentar zu
Pretty Woman von Garry Marshall oder zum 'Ödipus' des Sophokles? Will er uns zeigen, dass das Männer-Märchen von der 'heiligen Hure' viel näher bei der Tragödie liegt, als Hollywood uns mit der strahlenden Julia Roberts vorgelogen hat? Oder geht es ihm darum, das Pathos des antiken Dramas in der Konfrontation mit amerikanischer Lebensart zu banalisieren? Schließlich gibt es die Szene, in der sich Jokaste, Ödipus' Mutter und Frau, im hohen Ton der Tragödie die Frage stellt, wie sie ihr Kind wohl in Harlem genannt hätte.
Geliebte Aphrodite vermittelt zwi-schen beiden Möglichkeiten durch den Witz. Das macht mächtig Spaß, aber es macht den Film ebenso unverbindlich wie sein deutscher Titel. Das englische Original (
Mighty Aphrodite) hat mit der gebetsartigen Anrufung der griechischen Liebesgöttin das interessantere Bedeutungsfeld. Kultisch ist denn auch der Einstieg: Der Chor betritt die Szene eines antiken Amphitheaters (es ist das römische von Taormina) und hebt an, über das Schicksal des Menschen mit seinen Gefühlen zu lamentieren. Das sei so griechisch und zeitlos wie das von Lenny Weinrib.
Bruch der Stilebene durch die Einführung des jüdischen Namens. Filmschnitt. Die Kamera umkreist langsam – eine klassische Einstellung in Allen-Filmen – zwei Ehepaare am Restauranttisch. Das eine ist das Ehepaar Weinrib (Woody Allen und Helena Bonham Carter). Man spricht vom Kinderkriegen. Weinrib hätte gern eines, seine Frau kann sich als vielbeschäftigte Galeristin nur eine Adoption vorstellen. Die Frau setzt sich durch. Wieder kommt der Chor ins Spiel und zetert. Seit Ödipus weiß man ja, wie schrecklich das mit weggegebenen Kindern enden kann. Noch hält Woody Allen die Handlungsstränge auseinander. Allein die Filmmontage setzt Chorkommentar und erzählte Geschichte parallel. Aber als Weinrib schließlich der Mutter seines Adoptivsohns nachforscht, tritt der Chorführer (F. Murray Abraham) in den Alltag von Manhattan ein und sucht das Gespräch mit Weinrib. Doch dieser lässt sich nicht warnen; er sei kein Chormitglied, sondern Handlungsträger, Akteur. Später wird ihn sogar Kassandra höchstpersönlich in seiner Wohnung aufsuchen und 'schwarzsehen'. Doch was symbolisieren diese griechischen Zitate? Eine moralische Instanz, 'political correctness', Weinribs Gewissen? Oder sind sie bloß Woody Allens Spielmaterial wie schon die Tragödienfiguren in seinem frühen Bühnenstück 'Gott'? Es scheint, er will sich mit den parodistischen Verfremdungseffekten vor allem einen Nonsens-Spaß machen, sonst hätte er den Chor kaum als Background-Sänger in einer Liebesszene eingesetzt.
Im Mittelteil des Films geraten die mahnenden Vermummten ohnehin in den Hintergrund. Nun geht es um Weinrib und Linda, die wirkliche Kindsmutter. Weil das Kind so schön und intelligent ist, erwartet der Sportjournalist die tollste Frau – und trifft eine Prostituierte und Pornodarstellerin (Künstlername: Judy Come) mit Russ-Meyer-Figur, Mausstimme und dem amerikanischen Traum von der Schauspielkarriere (Mira Sorvino bekam für diese liebenswerte Type zu Recht den Oscar für die beste Nebenrolle). Es kommt zur unvermeidlichen Verwirrung der Gefühle. Weinrib versucht, das Mädchen aus dem Milieu zu holen, scheitert bei der Kuppelei mit einem einfältigen Zwiebelfarmer und geht am Ende doch mit ihr ins Bett.
Das wird mit typischen Woody-Allen-Mitteln erzählt, mit verstotterten Wortwitz-Kaskaden in Restaurants, auf Stadtgängen und Wohnzimmersofas, die Kamera in fast dokumentarischem Abstand. Ein Seiltanz der Emotionen, der Abgrund einer "Mördergrube in unserem Herzen", den Allen in seinen Meisterwerken wie
Manhattan,
Verbrechen und andere Kleinigkeiten oder
Ehemänner und Ehefrauen ohne Kommentar gezeigt hat. In
Geliebte Aphrodite führt er nur noch das Happy-end als Theatertrick vor. Linda bekommt einen Partner als den 'deus ex machina' des griechischen Dramas, wobei die antike Götterfigur am Kran durch einen Hubschrauber-Piloten ersetzt wird. Weinrib kehrt zu seiner eigenen Frau zurück. Als sich das Paar vor dem Chor umarmt, tauschen diese die Masken der Tragödie einfach in die der Komödie um und stimmen einen Song vom Lächeln an.
Sicher ist dieser Schluss ironisch gemeint. Aber kann er den Zuschauer letztlich vor Hollywoods eingeschworenen, tradierten Frauenbildern des Films bewahren: die naive Nutte, die mutterschaftsfeindliche Intellektuelle aus New York – serviert in bester US-Fast-Food-Ehe-Soße? Vielleicht hätte Woody Allen es weniger mit den antiken Tragödiendichtern halten sollen als mit dem griechischen Komödianten Aristophanes: Der kannte keine Gnade bei Klischeeverletzungen.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.08.1996