Inhalt
Manfred Zapatka rezitiert zwei ins Deutsche übersetzte Predigten, die der orthodox-salafistische Imam Mohammed Fazazi zum Ende des Ramadan im Januar 2000 in der Hamburger Al-Quds-Moschee gehalten hat. Darin geht es um Glaubens- und Verhaltensfragen, die den einzelnen betreffen ebenso wie um das unversöhnliche Verhältnis Gläubiger (Muslime) zu den "Ungläubigen" inkl. der Legitimität von Gewalt gegen letztere. Wie nach dem 11. September 2001 bekannt wurde, waren drei der vier Selbstmordpiloten regelmäßige Besucher der Hamburger Moschee und standen in engem Kontakt zu Fazazi, der inzwischen im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen zu einer langjährigen Haftstrafe in Marokko verurteilt worden ist.
Umsetzung
Im Unterschied zu üblichen szenischen Rekonstruktionen handelt es sich um eine modellhaft arrangierte Inszenierung. Durch ihren stark reduzierten Duktus in einem nahezu neutralen Dekor lenkt diese Art von Minimalismus die Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Textes; er wird den Zuschauer/innen ohne das Bild des eifernden Hasspredigers und ohne alle sonstigen schauspielerischen "Zutaten" vom Vortragenden in einer ebenso ungewöhnlichen wie ungewohnten filmischen Form konzentriert näher gebracht. "Der Text hat eine innere Autorität und somit ist es auch sehr schwer, diese Autorität glaubhaft zu inszenieren." (Romuald Karmakar im Gespräch, siehe filmtipp plus-Begleitmaterial)
Hintergründe und Impulse des Regisseurs
Auszüge aus dem Gespräch mit Romuald Karmakar im filtmipp plus-Begleitmaterial:
Die aufwändige Übersetzung des Predigttextes ist für den Regisseur die Basis des Verständnisses: "Wenn wir nicht die Anstrengung leisten, genau zu verstehen, was gesagt wird, können wir auch nicht über das Thema reden." Viel mehr als jede Fernseh-Talkrunde mit "irgendeinem Vertreter des Islam, der uns den Islam erklärt", vermittelt der Film exemplarisch etwas von der Bedrohung und bietet konkrete Möglichkeiten zur Auseinandersetzung: "Es sind ja weniger die Leute, die bei Schäuble am Tisch sitzen, die uns Angst machen, sondern es sind bestimmte radikale und gewaltbereite Menschen, mit denen man sich auseinandersetzen muss." Wahrnehm- und begreifbar wird etwas aus dem Binnenraum einer Moschee, was der Öffentlichkeit hierzulande gemeinhin vorenthalten bleibt (Stichwort: "Parallelgesellschaften").
Für Karmakar bietet der Film auch an, "sich unabhängig vom Islam mit rhetorischen Strukturen eines Denkers auseinander zu setzen." Deshalb empfiehlt es sich, "gar nicht mal so sehr Islamwissenschaftler (einzuladen), sondern Fachleute, die versuchen, über radikales Denken, über die Binnenlogik von radikalem Denken Anknüpfungspunkte zu bekommen." Auf diese Weise können die "Lektionen" Zugänge erschließen zur individuellen Auseinandersetzung mit jedweden radikal-fundamentalistischen, zu Terror und Gewalt führenden totalitären Denk- und Politikbewegungen in der Moderne. "Man muss, wenn man den Film verstehen will, auch einen Blick in die eigene Geschichte werfen. Welche radikalen Bewegungen gibt es in der eigenen Geschichte? Gibt es da Dinge, die man vergleichen kann, Dinge, die ähnlich strukturiert sind?". Mit der Vergegenwärtigung der "Posener Rede" Heinrich Himmlers aus dem Jahre 1943 hatte Karmakar bereits in "Das Himmler-Projekt" (2000) eine derartige Introspektion radikalen Denkens unternommen.
Filmbildung im Kino
Mit Karmakars Art von "filmischer Lesung" eines "Textes" sind selbst filminteressierte und fürs Thema besonders motivierte ältere Schüler/innen in aller Regel nicht hinreichend vertraut. Daher ist eine Einführung im Kino bzw. eine Heranführung an den Inszenierungsstil für Wahrnehmung und Verständnis dieses Films besonders wesentlich und produktiv: Eine Voraussetzung dafür, dass Schüler/innen bei dem zunächst fremdartig erscheinendem Inhalt über das ungewohnte Arrangement und die experimentelle Form nach und nach in den Film "hineinfinden" können – am wirksamsten bei konzentrierter Rezeption im Kino.
Weiterführende Filmbildung in der Schule
Wichtig für die weiterführende fächerübergreifende Arbeit mit Schüler/innen ab der 10. Jahrgangsstufe ist, dass sie eine individuelle, ihrer Erfahrung zugängliche Annäherung an das im Film angesprochene Hauptthema finden: die Bedeutung fundamentalistischer Ideen und damit verbundener Absolutheitsansprüche für die Geltung von individuellen Anschauungen, kollektiven Werten und Normen. Hierzu lassen sich zahlreiche Anknüpfungspunkte und unterschiedliche Kontexte denken, sowohl in der eigenen Geschichte als auch in globalen Zusammenhängen der Gegenwart, für die das Datum 11. September 2001 eine Chiffre ist.
In diversen Arbeitsfeldern des Religions-, Ethik-, Philosophie- und Sozialkundeunterrichts der Oberstufe kann man sich dem Film mehr themenbezogen auf dem Wege einer Auseinandersetzung mit dem Koran, den Grundlagen sowie verschiedenen Strömungen und Varianten des Islam bzw. des Islamismus zu nähern versuchen. Eine wiederkehrende Leitfrage dabei lautet: Was bedeutet unter den Bedingungen von Moderne der vom Prediger im Film erhobene Anspruch, sich ausnahmslos in alle Bereiche des Lebens einzumischen, Antworten auf jede Frage und für alles ein besonderes Programm zu haben – für die Geltung von Recht und Gesetz, für den einzelnen wie für das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion zu diesem einzelnen etc.?
Stärker filmimmanente Zugänge bieten sich beispielsweise im Fach Kunst über eine vertiefende Analyse der unkonventionellen Form und deren Wirkungsweise; im Deutschunterricht über eine rhetorische Analyse der "Lektionen", die theologische Grundsätze, logische Argumente, religiöse Wertungen und moralische Unterweisungen immer wieder subtil miteinander verweben.
In derart konzentrierter Form wie die
Hamburger Lektionen eröffnen weder Schrifttexte noch andere audiovisuelle Medien zum Thema Schüler/innen Möglichkeiten, sich über die unmissverständlichen Worte und scholastischen Auslegungen eines Predigers in die totalitäre Logik einer fundamentalistisch-religiösen Weltanschauung "hineinzudenken". Die Inszenierung vermittelt ihnen die rhetorischen Figuren und dogmatischen Volten des kühl argumentierenden Imam differenziert und gut nachvollziehbar.
Inhaltlich ruft die ausgesprochen unversöhnliche, integrationsfeindliche Argumentation bei vielen Schüler/innen auch Irritation und Widerspruch hervor. Dadurch erzeugt der Film Aufmerksamkeit und liefert Ankerpunkte für eine hochaktuelle Auseinandersetzung mit religiös-ideologischen Rechtfertigungen des militant-gewaltbereiten Islam – ohne sich darin zu erschöpfen und den Film als ganzen darauf zu verengen.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Reinhard Middel, 27.08.2007, Vision Kino 2007.