Berlin, 1990: Die Mauer ist vor wenigen Monaten gefallen, und das geteilte Deutschland für einen kurzen Moment in Freude und Freiheit vereint. Doch schnell kommen neue und alte Vorurteile an die Oberfläche. In diesem aufgeheizten Sommer vor der deutschen Wiedervereinigung begegnen sich Katja und Thorben. Katja ist in Westberlin aufgewachsen, nachdem ihr Großvater in der DDR enteignet wurde und fliehen musste. Thorben lebt im brandenburgischen Kleinmachnow – im Elternhaus von Katjas Vater. Um dieses Haus entbrennt ein Streit, an dem beide Familien zu zerbrechen drohen. Der Härte, mit der Katjas Vater "sein" Haus zurückfordert, steht seine Tochter verständnislos gegenüber. In Thorben findet Katja einen Vertrauten. Hals über Kopf verlieben sie sich ineinander. Doch nur zwischen den Mauertrümmern im Niemandsland, dem Grenzstreifen, bleibt ihre Beziehung ungetrübt, denn lange können sie sich dem deutsch-deutschen Familienkonflikt nicht entziehen.
Vordergründig eine klassische Liebesgeschichte zweier junger Erwachsener, zeichnet Florian Aigners Spielfilmhybrid
Im Niemandsland im Kern die gesellschaftspolitischen Ereignisse und Spannungen der Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung nach. Der Film nimmt dabei auf Themen wie SED-und Stasi-Vergangenheit Bezug und zeigt auch kritische Fragen der Nachwendezeit auf. So verliert Thorbens Mutter ihre langjährige Anstellung, weil ihr Betrieb umstrukturiert wird. In der
Einstiegsszene, aber auch eingeflochten in die weitere Handlung, verwendet Aigner immer wieder Archivmaterial von Schlüsselmomenten der deutschen Geschichte: Jubelnde DDR-Bürger/-innen, die nach der Grenzöffnung die Mauer erklimmen und im Westen begeistert empfangen werden, Beschlüsse zu Währungsunion und Entschädigung der durch das DDR-Regime Enteigneten. Spielszenen und Archivmaterial fügen sich fast bruchlos zusammen. Dazu trägt vor allem die zurückgenommene
Farb- und Lichtgestaltung bei, die die körnige Ästhetik der Archivaufnahmen aufgreift. Die vorwiegend ruhige
Inszenierung und die historisch akkurate Ausstattung lassen die Spielfilmhandlung realistisch erscheinen. Dagegen erscheint die gefällige Auflösung des Konflikts um das Haus jedoch höchst unglaubwürdig. Auffällig ist der kontrastierende Einsatz von
Musik: Während Katja auf ihrem Walkman englischen Pop und kritischen DDR-Rock hört, werden die romantischen Szenen im Off durch klassische Streicher untermalt.
Über die Zeit des Mauerfalls weist der Film in die Zukunft der deutschen Einheit bis in die Gegenwart, in der auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch Spannungslinien zwischen Ost und West verlaufen. In den Fächern Geschichte, Politik und Gesellschaft/Wirtschaft können über die Analyse des Archivmaterials, aber auch anhand der Schicksale der beiden Familien im Film die Herausforderungen beleuchtet werden, denen sich Politik und Gesellschaft stellen mussten. Davon ausgehend kann über die weitere Entwicklung diskutiert werden: Wie haben sich die politischen Entscheidungen um 1990 ausgewirkt? Inwieweit ist es gelungen, eine deutsche Einheit zu erzielen? Warum gibt es auch heute noch Unterschiede und Ressentiments zwischen Ost und West? Speziell im Ethik-Unterricht können außerdem Fragen der Identitätsausbildung und Loyalitätskonflikte zwischen Familie, Freunden und eigenen Bedürfnissen thematisiert werden. Im Deutschunterricht lässt sich die Konstruktion der Erzählung vor allem mit Blick auf die Verschränkung von Archivmaterial und Spielszenen untersuchen.
Arbeitsblatt: Heranführung an den Film Im Niemandsland
Fächer: Deutsch, Ethik, Sozialkunde, Geschichte, Politik ab Klasse 8
a) Überlegt gemeinsam, was man unter dem Begriff "Niemandsland" versteht. Gleicht anschließend eure Ergebnisse mit der
Duden-Definition ab.
b) Seht euch den
Trailer zum Film
Im Niemandsland an. Begründet anschließend, welche der beiden Duden-Definitionen ihr in Bezug auf den Film für zutreffender haltet.
c) Tauscht euch im Plenum darüber aus, was ihr über den Mauerfall und die Zeit bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wisst. Gleicht euer Vorwissen zur Mauer ("Grenze"), zur Staatsicherheit und zur Wende mit folgenden
Glossar-Einträge ab.
Während des Filmbesuchs:
d)
Im Niemandsland zählt zur Gattung des Spielfilms. Das heißt, dass sämtliche Szenen inszeniert und gespielt sind. Das trifft aber nicht auf das gesamte Material des Films zu. Achtet darauf, welche Art von Material Regisseur Florian Aigner mit den Spielfilmszenen
montiert und was ihr über die Zeit nach dem Mauerfall erfahrt. Haltet eure Ergebnisse unmittelbar nach dem Filmbesuch stichpunktartig fest.
Nach dem Filmbesuch:
e) Vergleicht eure Ergebnisse aus Aufgabe d).
f) Gebt den im Film dargestellten Konflikt in eigenen Worten wieder. Geht auch darauf ein, was ihr über die Familiengeschichte von Katja und Thorben und über die beruflichen Perspektiven der Eltern nach dem Mauerfall erfahrt.
g) Erinnert euch an die
Szene, in der Thorbens Trainer mit Katja und Thorben im Auto fährt. Der Trainer erklärt die Grundlagen des Autofahrens und äußert seine Auffassung, dass die Beziehung von Katja und Thorben ein "Glücksfall" sei. "Ihr seid die Zukunft", sagt der Trainer und gibt den beiden Ratschläge, wie sie ihre Zukunft meistern können. Er sagt unter anderem:
"Setzt euch an einen
runden Tisch."
"Macht den
dritten Weg, aber auf Augenhöhe."
"
Es wächst zusammen, was zusammen gehört."
Findet euch in Gruppen von drei Schülerinnen und Schüler zusammen. Recherchiert on- und offline (indem ihr eure Eltern fragt oder im Internet recherchiert), was die fett gedruckten Wortgruppen, beziehungsweise der Satz im politischen Zusammenhang nach Mauerfall bedeuten.
h) Präsentiert eure Ergebnisse in der Lerngruppe.
i) In Shakespeares Tragödie "Romeo und Julia" entstammen Protagonistin und Protagonist zweier verfeindeter Familien. In der Literatur oder im Film spricht man vom Romeo-und-Julia-Motiv, wenn die Liebenden aus unterschiedlichen, sich nicht wohlgesonnenen Gruppen entstammen. Diskutiert, inwieweit das Romeo-und-Julia-Motiv auf
Im Niemandsland zutrifft und um wen es sich bei den nicht wohlgesonnenen Gruppen handelt.
j) Zumindest zwischen den Familien kommt es zu einer Versöhnung. Katjas Vater verkauft Thorbens Eltern das Haus. Tauscht euch im Plenum basierend auf euren Ergebnissen aus den Aufgaben f) und j) darüber aus, worin die Motivation dafür besteht und beurteilt, inwieweit euch die Handlung der Figur nachvollziehbar erscheint.
k) In zwei Szenen des Films, kurz vor Katjas Unfall und in der
Schlusssequenz, ist der Song "Born in the GDR" von Sandow zu hören. Er entstand 1988 kurz nach dem Gastspiel von Bruce Springsteen in Ost-Berlin. Der US-Amerikaner sang dort seinen Hit "Born in the USA", der gesellschaftspolitische Entwicklungen zu Beginn der 1980er-Jahre kritisiert. Auch "Born in the GDR" ist mit Versen wie "Wir bauen auf und tapezieren nicht mit / Wir sind sehr stolz auf Katarina Witt" und "Ich habe 160. 000 Menschen geseh'n / Die sangen so schön, die sangen so schön" DDR-kritisch. Das Lied durfte vorm Mauerfall nicht veröffentlicht werden. Nach der Wiedervereinigung weigerte sich die Band viele Jahre, das Lied zu spielen, weil die Ironie im Text von Teilen des Publikums ausgeblendet und "Born in the GDR" nostalgisch verklärt wurde. "Ich sänge an eine Adresse, die sich aufgelöst hat, die nicht mehr existiert", sagt Sänger und Texter Kai-Uwe Kohlschmidt in der
Bandmonografie.
Hat sich vor dem Hintergrund der Schlusssequenz die Bedeutung des Filmtitels
Im Niemandsland für euch verändert oder erweitert? Erörtert, was das Schlussbild und die
Musik für Thorbens und Katjas zukünftige Beziehung bedeuten könnte.
Autor/in: Hanna Schneider (Filmbesprechung), Ronald Ehlert-Klein (Arbeitsblatt), 04.11.2019
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