Der Film
Meine Mutter, ein Krieg und ich ist kostenfrei zum privaten Streaming in der
bpb-Mediathek verfügbar.
Im Kriegswinter 1942 kam Tamara Trampe auf einem Schlachtfeld bei Woronesch in Südrussland zur Welt. Ihre Mutter diente als freiwillige Sanitäterin in der sowjetischen Armee, wenige Wochen nach der Entbindung kehrte sie an die Front zurück. Ihr Kind lebte derweil bei den Großeltern in der Nähe von Dnipro (damals: Dnipropetrowsk). 1949 siedelte die Familie mit einem "neuen Vater", einem in die Sowjetunion emigrierten deutschen Kommunisten, in die eben gegründete DDR über. Die Prägungen durch den Krieg blieben, auch wenn in der Familie über die Erlebnisse nicht gesprochen wurde. Anfang Dezember 2012 reist die damals 70-jährige Dokumentarfilm-Regisseurin Trampe mit einem kleinen Team nach
Russland und in die östliche Ukraine an die Orte ihrer frühen Kindheit. Sie sucht ihren greisen Onkel Wanja auf, den letzten noch lebenden Bruder der Mutter. Eine mögliche ehemalige Kameradin der Mutter legt all ihre Orden und Ehrenzeichen an, verneint die Frage nach Liebe im Krieg und winkt dem Kamerateam lange hinterher. Man spürt, dass es sich um letzte Begegnungen mit den Gesprächspartner/-innen handelt.
Tamara Trampes und Johann Feindts Film schließt indirekt an ihre Arbeit
Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien (D 2005) an. In beiden Filmen geht es um Kriegstraumata, die Ansätze aber sind verschieden. War der Vorläuferfilm ein Langzeitporträt von ehemaligen russischen Soldaten, so wendet sich die Regisseurin nun der eigenen Biografie zu. Der subjektive Ansatz wird von Beginn an klar formuliert: Aus dem Off ist Trampes Stimme zu hören, die zwei alte Familienfotos beschreibt. Sie spricht von sich selbst in der ersten Person. Die Kamera ihres Arbeits- und Lebenspartners Johann Feindt schließt dicht auf, zeigt die Filmemacherin bei ihrer Spurensuche und den dabei entstehenden Unsicherheiten. Die Bilder erscheinen zunächst reportagehaft, eher flüchtig aufgenommen, doch werden ihnen wiederholt Archivaufnahmen aus dem Krieg assoziativ gegenübergestellt. Auf spektakuläre
Panoramen und dramatisierende
Musik wird verzichtet. Ein weiterer Kunstgriff besteht in der Sichtbarmachung des filmischen Aufnahmeprozesses. Mehrfach kommen Mikrofone ins Bild oder es werden Passanten/-innen gezeigt, die auf die Dreharbeiten reagieren. Einmal putzt die Kameraassistentin während der Aufnahme das regennasse Objektiv. Diese Einschübe verstärken den Eindruck eines Experiments mit offenem Ausgang, zudem wird die Distanz zu konventionelleren Hochglanz-Dokumentationen zur Zeitgeschichte verdeutlicht. In
Meine Mutter, ein Krieg und ich ist alles im Entstehen, es gibt keine allwissende/-n Erzähler/-in und auch keine abschließenden Antworten auf im Raum stehende Fragen.
Meine Mutter, ein Krieg und ich erweist sich mehrere Jahre nach seiner Fertigstellung als relevanter denn je. Nach dem Überfall Russlands im Februar 2022 auf die Ukraine lassen sich über den Film komplizierte historische Zusammenhänge besser verstehen. Wenn etwa Onkel Wanja von "Hitlerland" spricht, wird deutlich, wie lebendig der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion in der kollektiven Erinnerung immer noch ist. Hier könnte auch über die Instrumentalisierung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der russischen Staatspropaganda von heute gesprochen werden. Damit ist der Film sowohl für den Geschichts- als auch für den Ethikunterricht gut geeignet. Besonders wichtig sind der Regisseurin die persönlichen Erfahrungen von Frauen. Welches Ansehen hatten sie als Soldatinnen an der Front? Gab es in der Extremsituation des Kriegs Raum und Zeit für Nähe und Vertrauen? Wie prägen die Erlebnisse die Veteraninnen bis heute? Vom Film ausgehend können sich die Schüler/-innen mit ihrer eigenen Familiengeschichte – auch in Form von kurzen Videointerviews – beschäftigen oder überlegen, welche historischen, sie prägenden Ereignisse sie als Zeitzeugen/-innen bereits miterlebt haben.
Arbeitsblatt zu Meine Mutter, ein Krieg und ich
Fächer: Geschichte, Politik, Sozialkunde, Religion ab 14 Jahren, ab Klasse 9
Vor der Filmsichtung:
In dem 2014 produzierten Film
Meine Mutter, ein Krieg und ich begibt sich die Ende 1942 geborene Filmemacherin Tamara Trampe an Orte in der heutigen Ukraine, in denen sie die ersten sechs Jahre ihrer Kindheit verbracht hat. Sie interviewt dort einen Verwandten und Frauen, die in einem gleichen Alter wie ihre Mutter Vera sind.
a) Tamara Trampe wird am 4. Dezember 1942 geboren.
1. Recherchiert in Einzelarbeit auf der
Internetseite des Deutschen Historischen Museums die historischen Hintergründe des Überfalls auf die Sowjetunion 1941. Die Ukraine ist zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Sowjetunion.
2. Erstellt in Partnerarbeit eine Zeitleiste, in der ihr die für euch wichtigen historischen Fakten eintragt.
3. Findet euch in Kleingruppen zusammen und stellt euch eure Ergebnisse vor.
b) Eine Karte der politischen Situation von 1938–1945 findet ihr auf der
Webseite der bpb .
1. Ordnet in Einzelarbeit wichtige Ereignisse auf der Zeitleiste Orten, Regionen und Ländern zu.
2. Vergleiche eure Ergebnisse mit einem Partner oder einer Partnerin.
3. Der Ort, an dem Tamara Trampe die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte, heißt Synelykowe. Recherchiert in Einzelarbeit den Ort auf einer Karte (z.B.
www.google.de/maps und ordnet ihn auf der Karte von 1938 – 1945 ein.
4. Stellt eure Ergebnisse im Plenum vor.
Während der Filmsichtung:
Für die Beobachtungsaufgaben während der
Filmsichtung bildet ihr Partnergruppen oder Kleingruppen mit maximal vier Personen.
c) Erstellt vor Beginn der Filmpräsentation auf einem Plakatkarton ein großes Dreieck mit den Worten des Filmtitels:
1. Ein Krieg
2. Meine Mutter (Vera)
3. Ich (Tamara)
d) Während der Präsentation wird der Film mehrfach angehalten. Ergänzt auf euren Plakaten Informationen zu den beiden Personen. Stellt auf den beiden Schenkel des Dreiecks Informationen über den Krieg und Ereignisse im Leben von Vera und Tamara zusammen, die die Lebensgeschichte der beiden Frau beeinflusst und geprägt haben.
Nach der Filmsichtung:
e) Ergänzt in Kleingruppen die vor der Filmpräsentation erstellten Zeitleisten mit den Informationen, die ihr über Vera und Tamara im Film erhalten habt. Füllt die Zeitleiste bis in die Gegenwart aus.
f) Erstellt in Partnerarbeit in Berichtsform einen Lebenslauf von Tamara und ihrer Mutter Vera.
g) Tragt eure Ergebnisse im Plenum vor.
h) Als Trauma bezeichnet man eine psychische Reaktion, die durch Extremsituationen wie Krieg, Gewalt, Katastrophen ausgelöst wird. Mögliche Symptome sind Verdrängung, Verschweigen oder immer wiederkehrendes Erzählen der Ereignisse, Angst, Wut, Panik. Diskutiert die Frage: Wirkt Tamaras Mutter Vera traumatisiert? Begründet eure Position an Beispielen aus dem Film.
Vertiefungsaufgaben (optional):
i) Im Film interviewt Tamara ihren Onkel Ivan/Wanja sowie drei Frauen aus der Generation.
Untersucht die jeweiligen Gesprächssituationen mit einer der Personen und erstellt einen kurzen Bericht aus Perspektive der jeweiligen Person.
1. Onkel Ivan/ Wanja (
Szenen:
Timescodes: 0:13:03 – 0:19:24 / 0:23:15 – 0:26:22 / 0:58:37 – 1:03:00 / 1:14:10 – 1:15:00)
Besondere Beachtung: Wanjas Ansicht über Deutschland damals und heute
2. Die Frontkämpferin (Szene: 0:26:22 – 0:35:21)
Besondere Beachtung: Die jetzige Tätigkeit der Frau, ihre Kleidung und die Inneneinrichtung der Wohnung
3. Die Frontkrankenschwester (Szenen: 0:39:20 – 0:42:56 / 0:50:09 – 0:55:36)
Besondere Beachtung: Die Antwort auf die Frage nach Liebe und Beziehung zwischen Männern und Frauen in Kriegszeiten
4. Die Unterstützerin der Partisanen (Szene: 1:06:54 – 1:14:09)
Besondere Beachtung: Die Behandlung durch die deutschen Besatzungssoldaten und die Zeit nach dem Krieg
j) Gestaltet eine Fish-Bowl-Diskussion: Je ein Mitglied aus der Kleingruppe stellt eine der vier Personen dar. Thema der Diskussion: "Bedeutende Erfahrung oder Trauma – Die Zeit von 1939 -1945 in meinem Leben".
Transferaufgaben:
k) Der Film gehört der Gattung des Dokumentarfilms an.
1) Erschließt auf folgenden Internetseiten das Format und die Darstellungsmethoden eines Dokumentarfilms:
kinofenster.de
Universität Kiel
2) Analysiert mit einem Partner oder eine Partnerin, welche typischen Mittel eines Dokumentarfilms die Filmemacherin Tamara Trampe in ihrem Film einsetzt.
Stellt dar, welche besonderen Rollen und Aufgaben Tamara Trampe in ihrem Film übernimmt, um ihr Thema
Meine Mutter, ein Krieg und ich den Zuschauenden darzustellen.
3) Entwickelt eine Skizze zu einem Dokumentarfilm:
Ein/-e Jugendliche/-r, die/der aus eurer Gruppe stammen kann, dokumentiert mit einem Film wichtige Stationen und Etappen seines Lebens.
Entscheidet: Welche Lebensphasen sind besonders wichtig? Welche Orte wird er aufsuchen? Mit welchen Personen sollte gesprochen werden? Welche Fragen müssen gestellt werden? Welche Materialien (Fotos, Videoclips, Audiomaterial) setzt ihr für die Darstellung ein? Welche Methoden eines Dokumentarfilms kommen in euren Film zum Einsatz?
Wenn ihr die Möglichkeit habt: Stellt eine oder zwei Szenen eures Dokumentarfilms dar und nehmt die Szenen mit dem Smartphone oder einem Tablet auf.
Autor/in: Dr. Claus Löser (Filmbesprechung), Dr. Manfred Karsch (Arbeitsblatt), 14.07.2022
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.