Ein Güterzug in der Prärie, ein Baumwollfeld unter blauem Himmel, eine Seitenstraße zwischen Hochhaus-Schluchten. Bilder aus den USA, die in The United States of America auch für die Vereinigten Staaten stehen. Genauer gesagt repräsentiert in diesem Film jeweils ein Bild einen der 50 Bundesstaaten sowie den District of Columbia (den Hauptstadtbezirk) und das Außengebiet Puerto Rico. Zumindest geben Texttafeln dies vor: Von Heron Bay, Alabama bis Kelly, Wyoming arbeitet sich der Film alphabetisch durch das Land und zeigt Bilder von Natur- und Kulturlandschaften. Nur selten sind Menschen, stets aber Zivilisationsmerkmale zu sehen oder zu hören. Industrieanlagen, Schiffe oder Straßen ragen ins Bild, Auto-, Maschinen- oder Flugzeuggeräusche vermengen sich auf der Tonspur mit Vogelgezwitscher. In einigen Fällen verweisen auch Stimmen, historische Song- und Gesprächsfragmente auf kulturelle und politische Kontexte.
Der Independent-Filmemacher James Benning arbeitet seit den 1970er-Jahren kontinuierlich an einer filmischen Topografie der USA. Schon 1975 veröffentlichte er eine experimentelle Arbeit mit dem Titel The United States of America, gedreht auf 16mm vom Rücksitz eines Autos, mit dem Benning und seine Co-Regisseurin Bette Gordon von der Ost- zur Westküste fahren. Diesem Dokument einer gut 4.500 km langen Autofahrt lässt Benning nun ein abweichendes Landesporträt folgen: Die knapp zweiminütigen, statischen Landschaftsaufnahmen, die als typische Benning-Ästhetik gelten können, zeugen aber – wie sich zeigen wird – tatsächlich gar nicht von einer Reise: "Filmed in California" heißt es im Abspann. Die Montage von Textinserts und Bildern – Sandstein-Felsen in Utah, Waldlandschaft in Vermont, Hochhäuser in New York – lässt in der Rezeption des Films also Verknüpfungen entstehen, die faktisch nicht zutreffen. Diese Illusion wird mitunter durch die Tonspur verstärkt oder gar kommentiert, etwa wenn der Bürgerrechtler Stokely Carmichael über rassistische Gewalt in Mississippi spricht oder eine spanischsprachige Folklore eine vermeintliche Aufnahme aus Puerto Rico untermalt.
Mit seinem minimalistischen Konzept wirft das Werk von James Benning komplexe Fragen auf, die für die Filmvermittlung interessant sind. So lässt sich im Kunstunterricht schon am Beispiel einer Sequenz die Diskrepanz zwischen Produktions- und Rezeptionskontext sowie dem dokumentarischen und fiktionalen Gehalt von Bildern diskutieren. Welcher Gattung ist The United States of America zuzuordnen – und wie ändert sich diese Einschätzung mit der Enthüllung des Drehorts? Benning hinterfragt die Wahrnehmung von Filmkonventionen, aber auch die repräsentative Qualität von Bildern. In Englisch bietet sich eine kritische Analyse dieser vermeintlich repräsentativen USA-Bilder sowie des politischen Subtexts an. Hierbei sollten die Schüler/-innen auch die Audioquellen des Films recherchieren – etwa Präsident Eisenhowers Abschiedsrede (Delaware), den Monolog von John Trudell vom American Indian Movement (Utah) oder den Woody-Guthrie-Song "This Land Is Your Land" (Illinois), hier bewusst in einer frühen Textfassung ("A sign was painted, said: private property"). Nach dem Vorbild von Benning ließe sich auch eine filmpraktische Übung realisieren, indem die Schüler/-innen vermeintlich repräsentative Räume ihres eigenen Wohnortes inszenieren.
Arbeitsblatt zu The United States of America
Fächer: Englisch, Deutsch, Kunst, Politik ab 9. Klasse, ab 14 Jahren
Vor der Filmsichtung:
a) Seht euch den Trailer von The United States of America an. Welche filmische Gattung (Dokumentar- oder Spielfilm) und welches Genre erwartet ihr?
b) Im Trailer werden zwei Bundesstaaten der USA dargestellt. Fasst zusammen, was die Einstellungen und die Mise-en-scène zeigen.
c) Welche weiteren US-Bundesstaaten kennt ihr? Tragt sie mit einer Partnerin/einem Partner auf einer Liste zusammen und nennt zudem Assoziationen, die ihr mit den US-Bundesstaaten verbindet. Überlegt in Kleingruppen, welche Einstellungen ihr für die Darstellung der jeweiligen Bundestaaten wählen würdet.
d) Stellt eure Ergebnisse der Klasse vor.
Während der Filmsichtung:
e) Achtet auf die Bild- und Tonebene des Films. Welche Orte werden dargestellt? Warum empfindet der Regisseur des Films diese Orte als repräsentativ für den jeweiligen US-Bundesstaat? Welche Geräusche und/oder Musik untermalen die Szene?
Nach der Filmsichtung:
f) Welche Eindrücke hat der Film bei euch hinterlassen? Tauscht euch aus. Geht dabei auf eure Notizen ein.
g) Welcher Gattung und welchem Genre könnte man dem Film zuordnen? Haben sich eure Vermutungen aus Arbeitsschritt a) bestätigt? Diskutiert gemeinsam im Plenum. Geht dabei auch auf mögliche Gründe für Abweichungen ein.
h) Schaut euch gemeinsam den Abspann des Films an. Darin wird darauf hingewiesen, dass der gesamte Film in Kalifornien gedreht wurde, das bedeutet, dass die vorgeblichen Aufnahmen von verschiedenen Bundesstaaten hier als Fiktion aufgelöst werden. Diskutiert was dieser Bruch im scheinbar dokumentarischen Stil auslöst.
i) Gibt es Beispiele aus eurem Privatleben, bei denen mithilfe von Bildern angeblich aus dem Leben dokumentiert wird (zum Beispiel Instagram-Stories oder Snapchat). Diskutiert, welche Rolle Fiktion in diesen Darstellungen von Privatleben spielt.
j) Recherchiert die Songs aus dem Soundtrack des Films und überlegt, welche Bedeutung sie haben könnten.
Projektarbeit:
k) Spaziert durch eure eigene Nachbarschaft und beobachtet diese genau.
l) Erstellt davon eine Karte, die ihr sowohl formal als auch sehr künstlerisch gestalten könnt. Tragt Straßennamen ein, aber auch für euch besondere Details, Notizen, Skizzen oder weitere Impressionen, die euch auffallen und die ihr interessant findet.
m) Markiert in eurer Karte mindestens drei Orte und erstellt an diesen Einstellungen, bei denen ihr euch an „The United States of America“ orientieren könnt. Versucht Orte zu finden, die euch persönlich filmisch spannend erscheinen. Entscheidet euch dabei für eine bestimmte Szenerie, Einstellungsgröße und optional auch für eine passende musikalische Untermalung.
n) Führt eure Aufnahmen in einer Montage zusammen.
o) Stellt eure erstellten Karten und Montagen vor der Klasse vor und gebt euch gegenseitig Feedback.
Exercise sheet on The United States of America
Subjects: English, German, Art, Politics from 9th Grade, from age 14
Before the screening:
a) Watch the Trailer for The United States of America. What category of film (Dokumentar- /feature film) and film genre do you expect?
b) Two US federal states are depicted in the trailer. Summarize what the camera angles and mise-en-scène portray.
c) Which other U.S. states do you know? Working with a partner, write them down and list the associations evoked in you by the respective states. Form small groups and discuss what camera perspectives you would use to portray the different states.
d) Present the results of your work to the class.
During the screening
e) Take note of both picture and sound in the film. What places are shown? Why does the director of the film perceive these places as representative of the respective state? What sounds und/oder music are underlaid in the scene?
After the screening
f) What impressions did the film make on you? Exchange views and opinions, referring back to your notes.
g) To what category and genre does the film belong? Were your initial suspicions from exercise a) confirmed? Discuss in class. Explore possible reasons for deviations from your expectations.
h) Watch the final credits together. We learn that the entire film was shot in California, which means that the purported shots from different federal states were fictitious. Discuss the effects of this break from an ostensibly documentary style.
i) Discuss examples from your own lives of how apparently real-life pictures are used to document our lives (for example, Instagram-Stories or Snapchat). Discuss also what role fiction plays in the portrayal of private lives.
j) Research the songs from the soundtrack of the film and consider what meaning or significance they could have.
Project work:
k) Take a stroll through your neighborhood and observe it closely.
l) Create a map of the area. You are free to choose how formally or artistically you design it. Enter street names and make notes, draw sketches, or describe other impressions and observations that are of special interest to you.
m) Mark at least three places on the map and create three scenes, based on the style of The United States of America . Try to identify places that seem cinematically interesting to you. Select a certain scenery, camera angle and, where applicable, a suitable musical soundtrack.