Seit dem Jahr 2000 gibt es in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel ein in Deutschland einzigartiges Projekt: angeleitete philosophische Gesprächsrunden, in denen Gefangene mittels der Sokrates-Methode ihre Wertesysteme
und Lebensfragen besprechen. Der Film begleitet eine solche Gesprächsrunde mehr als ein Jahr lang. Neben den Gruppendiskussionen zu sechs Themen
wie "Der Wert des Lebens" oder "Innere Freiheit" porträtiert der Film einzelne Teilnehmer, insbesondere die Schwerverbrecher Gaston, Rainer
und Gordon. Die Einzelinterviews
und Alltagsbeobachtungen geben jeweils sehr persönliche Einblicke in ihre Auseinandersetzung mit der Straftat sowie mit ihren Ängsten, Widersprüchen
und Wünschen.
Jenseits gängiger Klischees ist den Regisseurinnen Silvia Kaiser
und Aleksandra Kumorek ein bemerkenswert intimer, geradezu meditativer Dokumentarfilm über Menschen im Strafvollzug gelungen. Im Zentrum stehen die Reflexionen der Gefangenen. Ganz im Sinne der sokratischen Gesprächskultur schafft die
ruhige Kameraarbeit einen respektvollen visuellen Raum für deren Äußerungen. Kurze
Einblendungen geben die nötigsten Hintergrundinformationen. Die lebendigen Diskussionen werden anhand gut ausgewählter Ausschnitte gezeigt. Die Selbstsaussagen bei den Porträts liegen meist als Voice-Over über nahen
und halbnahen
Einstellungen, die die Sprecher allein mit sich zeigen. Gerade hier im Alleinsein lösen sich die Posen auf
und der Mensch in seiner Zerrissenheit
und Verwundbarkeit tritt hinter der Straftat hervor. Im Wechsel dazu geben Beobachtungen aus dem Gefängnisalltag den Worten
und Gedanken Raum um nachzuwirken.
Der Film zeigt eindrucksvoll die Anwendung der "Sokratischen Gespräche" in einem normalerweise nicht dafür aufgeschlossenen, aber für die Methode selbst nicht untypischen Umfeld. Auch Sokrates diskutierte während seiner Zeit im Gefängnis mit Getreuen über die prägenden Grundwerte eines Menschen. Die Methode selbst
und die Arbeitsweise der Gesprächsleiter werden im Film nicht vorgestellt
und sollten deshalb im Unterricht vorab recherchiert werden. Die Auseinandersetzungen der Inhaftierten geben Einblick in die Motivation
und das Selbstbild von Straftätern, ohne die Straftaten selbst zu relativieren. Dies bietet gute Ansatzpunkte, um im Unterricht die Themen Strafe, Schuld
und Sühne, aber auch das Thema "Resozialisierung" anzusprechen. Nicht zuletzt greifen die dokumentierten Gespräche universelle Fragen nach der Unterscheidung von Gut
und Böse oder dem Freiheitsbegriff auf, die sich problemlos in der Klasse weiter diskutieren lassen.
Autor/in: Kirstin Weber, 25.05.2010
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