Anfang der 1930er-Jahre in Paris: Ein zwölfjähriger Waisenjunge lebt in den Dachgewölben eines Bahnhofs und kümmert sich statt seines verschwundenen Vormunds um die riesigen Werke der Bahnhofsuhren. Seine besondere Hingabe aber gilt einem menschenähnlichen Automaten, dem zum Funktionieren nur ein Schlüssel in Form eines Herzens fehlt. Eben diesen trägt die Adoptivtochter eines im Bahnhof ansässigen Spielzeugmeisters um den Hals. Als die Kinder den Automaten zum Leben erwecken, malt er in ruckelnden Bewegungen das Titelbild eines der berühmtesten Filme des frühen Kinos aufs Papier: Die Reise zum Mond des Stummfilmregisseurs Georges Méliès, mit dem die ungewöhnliche Maschine auf geheimnisvolle Weise verbunden ist.
Martin Scorseses neuer Film ist zugleich ein nostalgisches Coming-of-Age-Drama und eine visuell berauschende Liebeserklärung an den Filmpionier Méliès, der einst mit fantastischen Stoffen und filmischen
Tricks den Gegenpol zum Realismus der Gebrüder Lumière bildete. Scorsese verknüpft die fiktionalisierte Biografie von Méliès mit der Entwicklungsgeschichte des jungen Hugo und zitiert wiederholt Szenen aus alten Stummfilmen, die er mit modernster 3D-Technik dynamisch und lebendig wirken lässt. In der räumlichen Darstellung setzt Hugo Cabret neue Maßstäbe und bei den zahlreichen
Kamerafahrten durch die mechanischen Uhrwerke hat man geradezu den Eindruck, sich im Inneren der analogen Filmtechnik, also Kamera und Projektor, zu befinden.
Scorseses herausragende Adaption lädt im Unterricht zu einem Vergleich zwischen dem literarischen Original und der filmischen Umsetzung ein. Dabei finden durch die beiden kindlichen Helden/innen zudem auch jüngere Schüler/innen leicht Zugang zu Stummfilmen, einer Ausdrucksform, die immer noch bezaubert. Die Anspielungen auf die ebenso einfallsreichen wie einfachen Filme aus den Méliès-Studios zeigen beispielhaft, wie sich die Filmkunst aus dem Geist der Spiel- und Experimentierfreude entwickelt hat. Zugleich wirbt der für seine Liebe zum Kino bekannte Regisseur überzeugend für einen bewahrenden Umgang mit alten Filmschätzen, was Hugo Cabret zur perfekten Vorbereitung für den Besuch eines Filmarchivs oder Filmmuseums macht.
Autor/in: Michael Kohler, 02.02.2012
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