Ein Tag im Leben einer Roma-Familie in Ungarn: Unter dem Eindruck der rassistisch motivierten Ermordung ihrer Nachbarn/innen versucht sie, möglichst normal weiter zu machen. Mutter Mari geht arbeiten, Tochter Anna geht zur Schule, nur Sohn Rio schwänzt und kümmert sich lieber um die Ausstattung eines Verstecks im Wald. Allgegenwärtig ist die Angst vor neuen Übergriffen, allgegenwärtig ist auch die Diskriminierung. Erschreckend offensichtlich wird sie nicht zuletzt in den elenden Verhältnissen, in denen die Roma zu existieren – mitunter ist es nur noch ein Vegetieren - gezwungen sind. Am Ende erweist sich die Hoffnung, dem Hass und der Verfolgung zu entkommen, als trügerisch. Die nächtlichen Geräusche kommen nicht nur vom Wind.
Bence Fliegauf bezieht sich mit
Just the Wind auf eine Serie rassistisch motivierter Anschläge, die in Ungarn 2008/2009 auf Roma-Familien verübt wurden, und der sechs Menschen zum Opfer fielen. Sein mit Laiendarstellern/innen entstandener Film ist jedoch keine dokumentarische Rekapitulation damaliger Ereignisse, sondern eine auf diesen gründende fiktive Erzählung. Dabei vermittelt die kunstvolle Bildästhetik einen emotionalen Eindruck von einem Leben, das von drohender Gewalt, von Ausgrenzung, Vorsicht, Misstrauen und Furcht geprägt ist. Die
handgeführte Kamera weicht den Figuren nicht von der Seite und verzichtet in den Bildern auf
Tiefenschärfe. Sie zwingt den Zuschauenden eine klaustrophobische, unübersichtliche Perspektive auf und beschreibt damit zugleich eine gesellschaftliche Situation.
Neben der bemerkenswerten Bildästhetik finden sich in dem eindringlich inszenierten Drama spannende Anknüpfungspunkte, um im Unterricht Themen wie Randgruppen-Ausgrenzung, Rassismus, kulturelle Vorurteile, die Geschichte der Roma sowie die politische Lage in Ungarn aufzugreifen. Darüber hinaus bietet es sich an, anhand von
Just the Wind über die dargestellten, unterschiedlichen Formen von Gewaltausübung zu sprechen. Sie reichen von kleinen Gemeinheiten (einem erst sehr spät anhaltenden Bus) über diskriminierende Unterstellungen (der Hausmeister der Schule, der Anna von gestohlenen Computerbildschirmen erzählt), offene Beleidigungen (derselbe Hausmeister, der in Gegenwart Maris sagt, es stänke nach Aas) bis hin zu offener Brutalität und Mord (der Anschlag, dem die Protagonisten/innen am Ende zum Opfer fallen). In allen Fällen zeigt Fliegauf strukturelle Gewalt, an einem einzigen Tag beispielhaft konkretisiert und verdichtet.
Autor/in: Alexandra Seitz, 10.07.2013
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